Mensch und Maschine: Die Zukunft der Arbeit ist Gegenstand des EHB-Forschungsprojekts.
Wie verändert KI das Lernen und die berufliche Bildung? Welche Berufe werden entstehen, welche verschwinden? Diesen und weiteren zentralen Fragen geht man an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) nach. Expert*innen haben im Rahmen eines Forschungsprojekts zusammen mit Lernenden der Hochschule spannende, teils kontroverse Antworten gegeben.
Rund ein Dutzend Lehrende und Lernende aus allen Teilen der Schweiz stehen bei dieser Impuls-Veranstaltung Rede und Antwort zu einem Dutzend Fachfragen. „Inspiring Tomorrow’s Skills“ ist der Titel dieser Reihe von Kurzvideos, die sich dem Thema Künstliche Intelligenz in der Berufsbildung widmet. Damit möchte die EHB zugleich Impulse zur aktuellen Diskussion geben und eine Brücke schlagen zwischen Theorie und Praxis.
„Wer ist intelligenter, Sie oder KI?“ Mit dieser überraschenden Frage als kleines Warm-up startet die Interviewreihe in die erste Runde. Die Antworten der Befragten reichen von einem erstaunten „Was für eine Frage!“ oder festen Überzeugungen, wie „Ganz klar ich!“, bis hin zu differenzierten Statements, zum Beispiel „Die KI hat eine andere Art von Intelligenz als ich“ oder, mit leiser Ironie: „Selbst wenn es für die KI gut aussieht, wird sie es nicht schaffen, den Menschen zu verdrängen.“ Diese Eingangsstatements sind ein guter Eisbrecher — und machen neugierig auf mehr. Wir haben uns fünf relevante Fragestellungen näher angeschaut.
Wie verändert KI das Lernen?
Einige Befragte unterstreichen, dass KI im Lernprozess, etwa als Nachhilfe-Tool, besser auf individuelle Bedürfnisse eingehen kann, als das bisher digital möglich war. Überdies würde KI, so etwa die Erziehungswissenschaftlerin Ana Albornoz von der EHB, den Lernprozess beschleunigen, die Suche im Netz ebenso wie das Schreiben. Einen interessanten Aspekt führt Francesca Amenundi an, die Lerntechnologien in der Berufsbildung erforscht: Sie wünscht sich, dass Anwender*innen verstehen, wie Maschinen Ergebnisse liefern. Wie kommt es von der Aufforderung, die wir eintippen, zu diesem Resultat? „Als wir ChatGPT zum ersten Mal ausprobierten, hatten wir alle den Effekt: Wow, es ist fast magisch! Aber es stecken Wissenschaft und Studien dahinter“, so die Wissenschaftlerin. „Es wäre nützlich, wenn wir uns fragen, welche Prozesse dem Ergebnis zugrunde liegen.“
Wie verändert KI die berufliche Bildung?
Der Weiterbildungsexperte Siegfried Alberton zeichnet ein klares Bild: „KI kann die Art und Weise, wie an den drei Lernorten ausgebildet wird, radikal verändern.“ Mit Blick auf die Individualisierungsmöglichkeiten ergänzt er: „Dank der KI kann ich meine Lehrgänge sehr spezifisch anpassen. Das kann in der Schule geschehen, aber auch in Unternehmen und bei überbetrieblichen Kursen.“ Interessant ist für ihn auch die Frage, in welchen Branchen Veränderungen spürbar werden. Prof. Dr. Antje Barabasch forscht in diesem Bereich. Sie nennt neben den medizinischen Berufen auch den Agrarbereich, der stark von Veränderungen durch die KI betroffen sein wird. „Die Lernenden werden sich hier viel stärker als bisher mit neuen Technologien beschäftigen — und sicher auch Spaß dabei haben.“ Neben technischen Bereichen präge KI überdies den Sektor Dienstleistung, so die Expertin. „Wir wissen jetzt, dass sich der kaufmännische Bereich, etwa durch den Einsatz von Chatbots, bereits deutlich verändert. Kaufmännische Angestellte werden wahrscheinlich zunehmend eine ganz andere Rolle einnehmen.“ Für die Wissenschaftlerin ist klar: Während KI bestimmte Funktionen übernehmen könne, bleibe der Faktor Mensch auf eine andere Art und Weise sehr wichtig. „Wir sprechen viel über die transversalen Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Kooperation und viele andere. Diese werden wichtiger. Viele dieser Kompetenzen kann die KI so nicht abdecken.“
Selbst wenn es für die KI gut aussieht, wird sie es nicht schaffen, den Menschen zu verdrängen.“
Werden mit der KI Berufe entstehen oder verschwinden?
Hier zeichnen die Expert*innen ein unterschiedliches Bild. „Wir können sehr schlecht voraussagen, was genau in welchen Berufen passiert“, sagt Prof. Dr. Jürg Schweri, der an der EHB zu „Steuerung der Berufsbildung“ forscht. „Wir haben das bei der Digitalisierung gesehen: Einige Forschende versuchten, die Automatisierungsrisiken zu berechnen. Gemäß denen sollten heute keine Lastwagenfahrer oder Lokomotivführerinnen mehr unterwegs sein. Stattdessen haben wir nun einen Mangel in diesen Berufen.“ Auch sein Kollege, der Dozent Rolf Felser, glaubt nicht, dass durch KI neue Berufe entstehen oder bestehende verschwinden werden. „Ich denke vielmehr, dass die bestehenden Berufe sich weiterentwickeln, vielleicht sogar sehr schnell“, so Felser. Dem widerspricht Weiterbildungsexperte Siegfried Alberton. Er glaubt, dass es Ingenieur*innen für KI oder Automatisierungsexpert*innen geben wird, ebenso „Expert*innen für die Erstellung von simulativen Szenarien [...] wie virtueller Realität, erweiterter Realität und so weiter.“ Bei der Frage nach den verschwindenden Berufen ist er der Ansicht, alle repetitiven, aus seiner Sicht banalen Arbeiten ließen sich leicht automatisieren.
Wie beeinflusst KI die Arbeitsbeziehungen?
Während ein Teil der Befragten meint, dass es zumindest bei den zwischenmenschlichen Beziehungen keine großen Veränderungen geben werde, sieht Antje Barabasch diesen Punkt kritischer: „Je mehr wir uns online und über Technologien verständigen, desto mehr entfernen wir uns auch voneinander.“ Sie sei, so sagt sie, skeptisch, ob ein starker Einsatz von KI die Beziehungen der Menschen untereinander positiv unterstütze. „Allerdings gibt es kollaborative Plattformen, auf denen wir gut oder sogar besser als zuvor zusammenarbeiten können.“ Sie denke da an die gemeinsame Arbeit an Texten oder Datensätzen. Hier sei KI ein praktisches Tool, was aber nur mit Praktikabilität und nicht mit Beziehungen zu tun habe. Pragmatisch sieht es Dr. Christopher Keller, der an der EHB zu „Lerntechnologien in der Berufsbildung“ forscht: „Ich glaube, die KI wird meine Beziehung zu meinen Arbeitskollegen nicht groß beeinflussen.“ Schließlich sei eine KI nicht in der Lage, eine Kaffeepause zu initiieren, sie sei auch nicht empathiefähig. Dafür fördere sie ein gewisses Konkurrenzdenken, „weil man durch KI schneller und produktiver werden kann.“ Das berge hingegen auch Chancen, etwa beim Teambuilding, indem sich alle gemeinsam zusammenschließen und miteinander lernen, KI gut, sinnstiftend und produktiv einzusetzen.
Je mehr wir uns online und über Technologien verständigen, desto mehr entfernen wir uns auch voneinander.“
KI auf dem Prüfstand: Wissenschaftler der EHB wie Prof. Dr. Lukas Graf geben Auskunft.
Wie sehen die Expert*innen die Zukunft von KI in der Berufsbildung?
Auf den Punkt bringt es E-Learning-Expertin Lydia Fuchs: „Meine Inspiration ist, keine Angst zu haben, KI einfach einzusetzen — denn sie kommt so oder so.“ Auch Christopher Keller wünscht sich, KI in Bildungspläne zu integrieren und nicht links liegen zu lassen, wie anfänglich Social Media. Ihm gehe es insbesondere darum, die nächste Generation KI-fähig zu machen. Das wünscht sich auch der Nachwuchs selbst. So ist sich Greta Agnello, eine angehende Kauffrau, sicher, dass KI ein zukünftiges Werkzeug sei, das aber „ethisch eingesetzt werden muss, um seine Qualität zu gewährleisten.“ Barbara Da Silva Santos, eine andere kaufmännische Auszubildende, sieht vor allem weiteren Informationsbedarf. „Lehrpersonen müssen Lernenden und Schülern den Umgang mit KI beibringen, damit sie ihnen etwas bringt, und damit sie sie wirklich nutzen können — sei es im Unterricht, in der Lehre oder im Alltag.“
Die kompletten Interviews gibt es zum Nachschauen aktuell als YouTube-Videos im Netz (s. QR-Code). Ein Blick auf die Website der EHB lohnt, unter anderem wegen der Weiterbildungsangebote. Bei „KI-Anwendungen in der Berufsbildung“ etwa erfahren Lehrpersonen mehr über KI-Tools, um Lernsettings vorzubereiten oder Lernbegleitungen durchzuführen. Lernprozesse effizienter zu gestalten und Auszubildende mit KI gezielt zu fördern — nur zwei der vielen Ziele an der EHB, die sicher auch zu Lehr- und Lernangeboten hierzulande inspirieren können.
KI kann die Art und Weise, wie an den drei Lernorten ausgebildet wird, radikal verändern.“