Auf dem Steg in Sandefjord. Von dort aus genoss Azubi Stefan Reichenbach den Ausblick auf die Stadt.
Entspannte Kolleg*innen, digitalisierte Arbeitsprozesse. Eine Gesellschaft, die Menschen mit Handicap vorbildlich integriert — Stefan Reichenbach berichtet begeistert vom Leben und vom Arbeitsalltag in Norwegen. Der angehende Chemielaborant aus Düsseldorf ist einer von über 60 Auszubildenden, die die BASF jährlich ins europäische Ausland entsendet.
Wir sprachen mit dem 19-Jährigen über seine Erlebnisse in Norwegen und darüber, was der Auslandsaufenthalt für ihn verändert hat.
Herr Reichenbach, warum haben Sie sich für die Teilnahme am Auslandsprogramm entschieden?
Ich hatte schon immer den Wunsch, eine längere Zeit im Ausland zu verbringen. Hinzu kommt, dass ich gut Englisch spreche, es aber kaum anwende. Ich wollte gerne mein Englisch vertiefen und endlich einmal richtig nutzen, was ich gelernt habe.
Wo waren Sie genau eingesetzt?
Ich war vier Wochen in Norwegen in Sandefjord — das liegt im Süden direkt am Meer, etwa zwei Stunden von Oslo entfernt. Mein Aufenthalt war aufgeteilt: Die ersten zwei Wochen war ich an der lokalen Highschool und die letzten zwei Wochen bei der BASF im Labor.
Viele Prozesse laufen in Norwegen online — wo wir uns hier noch stark ans Papier halten, ist dort alles längst digitalisiert. Das vereinfacht und beschleunigt vieles.“
Was haben Sie gelernt?
Ich konnte mein Englisch deutlich verbessern, weil ich darauf angewiesen war. In der Schule habe ich viel Technisches gelernt — sowohl im Technischen Zeichnen als auch in der Elektronik. In Norwegen wird viel digitaler gearbeitet als in Deutschland.
Es hat sich als Vorteil erwiesen, dass ich bei der BASF in Norwegen in dem Bereich eingesetzt wurde, in dem ich auch aktuell eingesetzt bin — nämlich in der Qualitätskontrolle. So war der Auslandsaufenthalt für mich gleichzeitig eine gute Einarbeitung.
Besonders beeindruckt hat mich, wie Menschen mit Handicap in Norwegen in die Gesellschaft integriert werden. Ich dachte eigentlich, wir sind in Deutschland schon ganz gut darin, aber in Norwegen sind die Menschen in dieser Hinsicht auf einem ganz anderen, viel positiveren Level. Die Highschool in Sandefjord ist beispielsweise rollstuhlgerecht. Morgens werden Schüler*innen mit Handicap von speziellen Fahrdiensten zur Schule gebracht. Dort nehmen sie je nach Handicap entweder am normalen Schulunterricht oder an einem gesonderten Schulprogramm teil. Wenn jemand ein Handicap hat, werden zusätzliche Hilfsmittel eingesetzt, damit der/die Schüler*in den Unterricht mitverfolgen kann, wie etwa ein Mikrofon, über das Schüler*innen mit Hörstörungen alles hören können. In den meisten Berufen werden Menschen mit Handicap in Norwegen problemlos integriert und die Arbeitsplätze entsprechend gestaltet.
Besonders der Respekt ist mir aufgefallen. Egal in welcher Altersgruppe: Niemand wird wegen einer Behinderung schief angeguckt oder diskriminiert. Besonders bei den jüngeren Schüler*innen in Norwegen fand ich das überraschend, weil es so selbstverständlich ist.
Was war das Erlebnis, das Ihnen am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben ist?
Ich war im Januar und Februar in Norwegen. An einem Tag haben wir mit der Schule einen Ausflug gemacht und sind dreieinhalb Stunden hoch in die Berge gefahren zu einem Museum. Es hatte die Tage davor stark geschneit. Da oben bei minus 20 Grad zu stehen und durch das Tal zu schauen, war beeindruckend. Wir sind an einer Wand vorbeigegangen, an der Eiszapfen hingen, — etwa 60, 70 cm lang und dicker als mein Handgelenk. Das war für mich ein unvergessliches Erlebnis.
(Quelle: Stefan Reichenbach)
Auf dem Steg in Sandefjord. Von dort aus genoss Azubi Stefan Reichenbach den Ausblick auf die Stadt.
Gab es Herausforderungen oder Schwierigkeiten?
In Norwegen waren wir auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, was normalerweise ziemlich einfach ist, weil man als norwegische*r Bürger*in eine Karte bekommt und diese online aufladen kann. Die ersten zwei Wochen mussten wir uns aber jeden Tag ein neues Ticket kaufen, weil die Station des Busunternehmens vor Ort nicht mehr existierte — alles war digitalisiert worden. Als Ausländer hatten wir zunächst keine Möglichkeit, ein Monatsticket zu buchen und es hat eine Weile gedauert, bis wir das Problem lösen konnten.
Haben Sie Freundschaften oder Kontakte geknüpft?
Ja, ich habe im Labor in Norwegen zwei Kollegen kennengelernt, mit denen ich mich regelmäßig über Teams treffe. Außerdem habe ich mich mit zwei Hotel-Mitarbeitern angefreundet. Und auch in der Schule habe ich zwei neue Freundschaften geschlossen. Ich überlege schon, wann ich das nächste Mal nach Norwegen fahren kann, um die Leute wiederzutreffen.
Welche Unterschiede haben Sie im Arbeitsalltag festgestellt?
Norwegen wurde mir vor der Anreise als das „Griechenland des Nordens“ beschrieben, weil die Menschen dort ziemlich entspannt seien. Das kann ich bestätigen: Meine Kolleg*innen wirkten stressfrei und haben sich bei der Arbeit Zeit für Qualität genommen. Da Norwegen nicht so stark unter Fachkräftemangel leidet wie Deutschland, sind die Arbeitsplätze gut verteilt. Jeder hat genug zu tun, aber es ist auch nicht zu viel. Das fand ich sehr angenehm. Meine norwegischen Kolleg*innen haben zum Beispiel viel Wert darauf gelegt, in Ruhe gemeinsam zu Mittag zu essen.
Das Labor dort war viel moderner als bei uns. Viele Prozesse laufen in Norwegen online — wo wir uns hier noch stark ans Papier halten, ist dort alles längst digitalisiert. Das vereinfacht und beschleunigt vieles.
(Quelle: Stefan Reichenbach)
Stefan Reichenbach beim Spaziergang auf den Hausberg von Sandefjord.
Was würden Sie künftigen Teilnehmer*innen eines Azubi-Auslandsprogramms raten?
Ich würde raten, sich gleich am Anfang über Alltagsdinge zu informieren, zum Beispiel wo man seine Wäsche waschen kann und was das kostet. Wir waren damit etwas überfordert, weil wir zu lange gewartet haben und dann plötzlich viel Wäsche hatten. Außerdem sollte man schauen, was es in der Region zu sehen gibt. Ich bin zum Beispiel mit der Bahn nach Tønsberg gefahren und habe ein Walfangmuseum besucht, das hat sich sehr gelohnt.
Ich hatte schon früher das Ziel, eine längere Zeit im Ausland zu verbringen — ob in den USA oder in Europa. Dieser Wunsch hat sich bei mir noch verstärkt.“
Was hat sich für Sie durch den Auslandsaufenthalt verändert?
Ich bin offener geworden fürs Reisen — es war das erste Mal, dass ich so lange und so weit weg von zu Hause war. Jetzt bin ich interessiert daran, mehr zu entdecken, egal ob allein oder mit Freunden. Ich bin selbstsicherer geworden, was mein Englisch angeht und gleichzeitig viel selbstorganisierter. Ich hatte schon früher das Ziel, eine längere Zeit im Ausland zu verbringen — ob in den USA oder in Europa. Dieser Wunsch hat sich bei mir noch verstärkt. Vor allem, weil ich in dem einen Monat zwar viel von Norwegen gesehen habe, aber längst noch nicht alles.
Alexander Lang, Teamleiter Ausbildung Produktionstechnik bei der BASF in Ludwigshafen, koordiniert die internationalen Azubi-Programme seines Unternehmens seit rund 25 Jahren.
Herr Lang, seit wann gibt es das Auslandsprogramm für Azubis bei der BASF?
Angefangen haben wir Anfang der 1990er-Jahre mit einem Frankreich-Austausch. Als dann seit Mitte der 1990er-Jahre die EU-Förderung zur Verfügung stand, konnten wir das Programm schrittweise erweitern. Zunächst knüpften wir Kontakte zu europäischen BASF-Standorten, später kamen kontinuierlich weitere Partner hinzu.
In welche Länder können die Auszubildenden gehen und mit welchen Institutionen arbeiten Sie vor Ort zusammen?
Wir haben ein europaweites Netzwerk aufgebaut. Viele Azubis reisen nach Frankreich, Belgien, Norwegen, Spanien oder in die Schweiz. Auszubildende im kaufmännischen Bereich absolvieren ihre Auslandsaufenthalte auch in Dänemark, Slowenien, Portugal und Italien.
Die Grundlage für unsere internationalen Kontakte bilden die BASF-Tochtergesellschaften in den jeweiligen Ländern. Unsere Partner vor Ort sind hauptsächlich Berufsschulen und weitere Unternehmen, die mit unseren dortigen Standorten kooperieren.
(Quelle: BASF)
Alexander Lang, Teamleiter Ausbildung Produktionstechnik bei BASF in Ludwigshafen, koordiniert die internationalen Azubi-Programme seines Unternehmens seit rund 25 Jahren.
Wie viele Azubis nehmen jährlich teil?
Insgesamt entsenden wir pro Jahr 60 bis 65 Auszubildende ins Ausland, begleitet von fünf bis sieben Ausbilderinnen und Ausbildern.
Was tun die Azubis in ihrer Zeit im Ausland?
Die Auszubildenden werden berufsspezifisch eingesetzt. Chemikant*innen besuchen entsprechende Berufsschulen oder arbeiten in Betrieben, die ebenfalls Chemikant*innen ausbilden. Kaufleute werden im kaufmännischen Bereich eingesetzt.
Welche Voraussetzungen müssen Azubis erfüllen, um teilnehmen zu dürfen?
Wir konzentrieren uns bei der Auswahl für die Auslandsprogramme auf leistungsstarke Auszubildende. Auszubildende mit häufigen Fehlzeiten oder schlechten Noten kommen nicht in Frage, da sie beispielsweise bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Norwegen zwei Wochen Berufsschulunterricht versäumen und die Inhalte eigenständig nacharbeiten müssen.
Wie läuft der Auswahlprozess ab?
Nach jedem Auslandsaufenthalt präsentieren die zurückgekehrten Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen vor interessierten Auszubildenden. Diese können sich anschließend bewerben und werden von unseren Projektleiterinnen und Projektleitern zum Auswahl-Interview eingeladen. In der Regel haben wir mehr Bewerbungen als verfügbare Plätze.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Organisation?
Der Kostenrahmen ist natürlich eine Herausforderung. Wir bekommen zwar Fördermittel von der EU über das Erasmus-Plus-Programm, aber diese decken nicht alles ab. Deshalb versuchen wir immer, beispielsweise günstige Unterkünfte für die Azubis zu finden.
Wie werden die Azubis vorbereitet und betreut?
Die Teilnehmer*innen bekommen jede Menge Infos über das Land und unsere Partnerorganisationen dort. Es gibt Vortreffen, Infoveranstaltungen und Video-Calls zum Kennenlernen. Um Flüge und Unterkunft kümmern wir uns.
In der Regel führen wir die Auslandsaufenthalte in englischer Sprache durch, was auch meist gut funktioniert. Unsere Auszubildenden erhalten zur Vorbereitung einen Englischkurs von etwa 20 Stunden. Allerdings ist Englisch bereits Bestandteil der Ausbildung — besonders bei den Laborant*innen, die auch englische Anleitungen lesen müssen.
Im Ausland sind unsere Azubis nicht allein. In den Firmen haben sie feste Ansprechpartner*innen und unsere Projektleiter*innen stehen die ganze Zeit über als Kontaktpersonen zur Verfügung. Bei allen Programmen fährt auch immer jemand mit. In Norwegen und Belgien zum Beispiel, wo die Azubis vier Wochen arbeiten, ist ein Ausbilder oder eine Ausbilderin eine Woche lang vor Ort.
In den 90ern nahm die Globalisierung an Fahrt auf. Seitdem kommen immer mehr ausländische Kolleg*innen zu uns. Da ist es von Vorteil, wenn junge Menschen im Unternehmen sind, die schon früh internationale Erfahrungen gesammelt haben.“
Erhalten die Azubis einen Nachweis über die Qualifikationen, die sie durch den Aufenthalt im Ausland erworben haben?
Es gibt den sogenannten Europass Mobilität, den wir jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer ausstellen. Da steht drin, was sie im Ausland gemacht haben, welche fachlichen und welche Soft Skills sie erworben haben. Das kommt in die Personalakte und ist später bei Bewerbungen eine wertvolle Zusatzqualifikation.
Wie wird der Erfolg des Programms evaluiert?
Über die Nationale Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), die im Auftrag der EU die Erasmus-Plus-Förderprogramme betreut. Die Teilnehmer*innen füllen im Nachgang ausführliche Fragebögen aus, in denen sie Rückmeldung geben. Es gibt klare Qualitätskriterien und wir müssen über bestimmten Werten liegen, damit wir weiterhin die Fördermittel bekommen.
Auch wir als Unternehmen werden regelmäßig befragt. Wir haben Ziele definiert, die wir mit diesem Programm erreichen wollen: Eigenständigkeit, Sprachkompetenz, internationale Kompetenz.
Was waren die Hintergründe für die Einführung des Auslands-Programms?
Das Hauptziel war ganz klar die Internationalisierung. In den 90ern nahm die Globalisierung an Fahrt auf. Seitdem kommen immer mehr ausländische Kolleg*innen zu uns. Da ist es von Vorteil, wenn junge Menschen im Unternehmen sind, die schon früh internationale Erfahrungen gesammelt haben, besonders wenn sie später Facharbeiter*innen und Vorgesetzte werden.
Sprachkompetenz ist natürlich wichtig und die Attraktivität der Ausbildung spielt ebenfalls eine Rolle — Auslandsprogramme machen die duale Ausbildung interessanter für junge Menschen.
Wie profitieren alle Beteiligten von dem Programm?
Wir wählen unsere besten Azubis für die internationalen Programme aus. Diese machen nach ihrer Ausbildung sehr wahrscheinlich Karriere, werden Meister*in oder Führungskraft. So kann unser Unternehmen später auf hochqualifizierte Mitarbeitende zurückgreifen, die bereits internationale Erfahrungen haben und deshalb eher bereit sind, auch für längere Zeit ins Ausland zu gehen.
Die begleitenden Ausbilder*innen erleben, wie in anderen Ländern ausgebildet wird und können ihre positiven Erfahrungen auf die eigene Praxis übertragen.
Ich bin selbst schon lange dabei — fast 30 Jahre in der Ausbildung bei der BASF und über 25 Jahre in diesem Programm. Vor 20 Jahren habe ich Auszubildende mitgenommen, die heute meine Kolleg*innen als Ausbilder*innen sind. Einige leiten inzwischen selbst einen Austausch.
Wir haben unser Programm über die Jahre hinweg immer wieder verändert und weiterentwickelt, aber die Grunderfahrungen bleiben gleich: Es geht darum, in ein anderes Land und seine Kultur einzutauchen, kommunikative Kompetenz zu erwerben und selbstständiger zu werden. Man kommt gestärkt zurück.
Wie planen Sie das Programm weiterzuentwickeln?
Wir planen, das Programm genauso weiterzuführen. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, dass bis 2030 12 % aller Auszubildenden im dualen System einen Auslandsaufenthalt absolviert haben sollen. Da sind wir schon nah dran. Unser Ziel ist es, das hohe Niveau zu halten und unsere Zahlen möglicherweise sogar noch zu steigern.
Mitarbeitende von Unternehmen, die auch am Erasmus-Plus-Programm teilnehmen möchten, können sich gerne zum Erfahrungsaustausch an uns wenden. Wir haben vor 10 Jahren ein Firmentreffen über die Nationale Agentur ins Leben gerufen, das einmal im Jahr stattfindet. Erasmus Plus ist überwiegend ein schulisches Programm, Unternehmen sind weniger repräsentiert. Die Schulen haben ganz andere Themen, deshalb ist dieses spezielle Firmentreffen für Mitarbeitende von Unternehmen besondershilfreich.