Ina Schöne betont, dass es bei KI-Kompetenz weniger um technisches Detailwissen geht als vielmehr um ein gesundes Urteilsvermögen im Umgang mit KI-Technologien.
Der Streamingdienst, der passende Filme vorschlägt, die Personalabteilung, die Bewerbungen mithilfe von KI vorsortiert oder die Ärztin, die KI-Unterstützung bei ihrer Diagnose nutzt — Künstliche Intelligenz ist mitten im Alltag angekommen.
Die sprunghafte Entwicklung der KI-Systeme konfrontiert uns mit Fragen zum Schutz von gesellschaftlichen Werten, Grundrechten und Daten.
Als Reaktion darauf haben im vergangenen Jahr alle 27 EU-Mitgliedstaaten den EU AI Act beschlossen — die erste umfassende Regulierung von KI durch eine bedeutende Behörde weltweit. Artikel 4 spricht von „KI-Kompetenz“ und fordert, dass Mitarbeitende von Unternehmen über diese verfügen, sofern sie mit KI arbeiten. Im Interview erklärt die KI- und Datenschutz-Expertin Ina Schöne, was unter KI-Kompetenz im Sinne des EU AI Act zu verstehen ist.
Was ist KI-Kompetenz?
KI-Kompetenz bedeutet nicht, jedes technische Detail zu verstehen, sondern ein gesundes Urteilsvermögen zu entwickeln: Wann ist KI hilfreich? Wo sind ihre Grenzen? Wie setze ich sie verantwortungsvoll ein? Im Kern geht es darum, die Kontrolle zu behalten — sowohl über die Technologie selbst als auch über die Richtung, in die sich unsere Unternehmen und unsere Gesellschaft entwickeln.
Mir ist die Unterscheidung zwischen KI-Schulung und KI-Kompetenz wichtig, denn KI-Kompetenz umfasst weit mehr als reines Fachwissen. Sie beschreibt die Fähigkeit, Potenziale und Grenzen von KI-Technologien richtig einzuschätzen. Ähnlich wie beim Führerschein ist eine Schulung nur der Anfang — die echte Kompetenz entwickelt sich mit der Zeit durch regelmäßige Praxis.
Es sollte nicht darum gehen, einen Schulungsnachweis zu erwerben und es dabei zu belassen, sondern im Sinne einer Wirksamkeitsprüfung, wie sie aus dem Qualitätsmanagement bekannt ist, die tatsächliche Anwendung des Wissens am Arbeitsplatz sicherzustellen und zu überprüfen.
Die zentrale Frage lautet: Hat die Schulung tatsächlich zu einer verbesserten Handlungskompetenz im Umgang mit KI geführt?
Die sprunghafte Entwicklung der KI-Systeme konfrontiert uns mit Fragen zum Schutz von gesellschaftlichen Werten, Grundrechten und Daten.“
Warum ist KI-Kompetenz heute unverzichtbar?
Mit den neuen Regeln steigt der Bedarf an KI-Kompetenz, denn nur wer versteht, wie KI-Systeme funktionieren, kann ihre Vorteile nutzen und gleichzeitig die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Dies gilt für verschiedene Bereiche — von Unternehmen über öffentliche Verwaltungen bis hin zu Bildungseinrichtungen.
Die europäische Gesetzgebung hat mit dem EU AI Act einen verbindlichen Rahmen geschaffen: Die Verordnung zielt darauf ab, die Entwicklung und Nutzung sicherer und vertrauenswürdiger KI-Systeme in der EU zu fördern und gleichzeitig potenzielle Risiken zu minimieren. Der EU AI Act kategorisiert KI-Anwendungen nach ihrem Risikopotenzial.
Als inakzeptabel gelten KI-Systeme zur gezielten Manipulation oder zum „Social Scoring“, bei dem Menschen nach erwünschtem Verhalten bewertet werden. Diese Anwendungen sind grundsätzlich verboten.
KI-Systeme mit hohem Risikopotenzial — beispielsweise im Personal-, Gesundheits-, Bildungs- oder Finanzwesen— müssen spezifische Anforderungen erfüllen, um auf dem EU-Markt zugelassen zu werden. Bei Anwendungen mit geringem Risiko bestehen lediglich Transparenz- und Informationspflichten. Das heißt, KI-generierte oder KI-modifizierte Inhalte (etwa Audio, Texte, Bilder oder Videos) müssen eindeutig als solche gekennzeichnet werden.
Wer braucht KI-Kompetenz?
Fachkräfte in allen Branchen müssen lernen, KI-Tools sinnvoll in ihren Alltag einzubauen.
Im regulatorischen Umfeld sind fundierte Kenntnisse zu Standards und ethischen Fragen gefragt, während Führungskräfte strategische Kompetenzen und ein Verständnis für Haftungsfragen entwickeln müssen. Personalverantwortliche sollten KI-Kompetenz in Schulungspläne aufnehmen, während IT-Teams sich mit der technischen Umsetzung und Sicherheit beschäftigen.
Eigentlich betrifft das Thema KI-Kompetenz aber jeden, der mit KI zu tun hat — und das sind immer mehr Menschen, ob sie es merken oder nicht. Denken Sie an KI-gesteuerte Telefonanrufe oder Chatbots, die man nicht sofort als KI erkennt. Hier entwickelt sich KI-Kompetenz auch zu einer Frage des Verbraucherschutzes.
Selbst zu Hause gewinnt KI-Kompetenz zunehmend an Bedeutung — vom intelligenten Kühlschrank bis zum Reinigungsroboter sind KI-Systeme Teil unseres Alltags, und wir sollten alle verstehen, wie wir damit verantwortungsvoll umgehen.
Fachkräfte in allen Branchen müssen lernen, KI-Tools sinnvoll in ihren Alltag einzubauen.“
Was bedeutet das für die berufliche Bildung?
Ausbilder*innen und Berufsschullehrer*innen benötigen fundierte KI-Kenntnisse aus zwei Gründen: Einerseits müssen sie selbst geeignete KI-Tools für ihren Unterricht auswählen können, andererseits tragen sie die Verantwortung, die Auszubildenden auf den KI-Einsatz in ihrem späteren Berufsleben vorzubereiten. Die Azubis wiederum müssen nicht nur allgemeine KI-Kompetenz erwerben, sondern gezielt den Umgang mit den branchenspezifischen KI-Tools erlernen, die für ihren jeweiligen Beruf relevant sind.
Dabei gilt es zu beachten, dass Künstliche Intelligenz im Bildungssektor als Hochrisiko-Technologie eingestuft wird, da sie Bildungswege maßgeblich beeinflussen kann. Dies könnte potenziell den Gleichbehandlungsgrundsatz gefährden sowie das Recht auf Bildung und Nichtdiskriminierung beeinträchtigen.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich KI rasend schnell entwickelt. Bis neue Inhalte die administrativen Hürden überwunden haben und Eingang in offizielle Lehrpläne finden, sind sie längst überholt. Daher sollte die berufliche Praxis den Ton angeben, wenn es darum geht, KI-Kompetenz zu vermitteln. Beratungsstellen in Handwerkskammern oder Berufsverbänden können dabei unterstützen.
Was wir jetzt brauchen, ist viel mehr Best Practice. Warten Sie nicht auf Lehrplanreformen — schaffen Sie stattdessen agile Lernformate, die Sie schnell an neue Entwicklungen anpassen können. Tauschen Sie systematisch Erfahrungen aus. Fragen Sie in Ihren Netzwerken: Wer hat bereits erfolgreich KI-Projekte in der beruflichen Bildung umgesetzt? Welche Strategien funktionieren? Wo sind Probleme aufgetreten und wie hat man sie gelöst? Das hilft aktuell mehr als theoretische Konzepte.
Wie ermittle ich den Bedarf an KI-Kompetenz für meine Organisation?
Klären Sie zunächst Ihre grundlegende Position: Sind Sie Hersteller, Betreiber oder Anwender von KI-Systemen?
Besonders wichtig ist die Frage, mit welchen Menschen Ihre KI-Systeme interagieren sollen. Bei Schüler*innen oder Patient*innen gelten andere Anforderungen als z. B. bei erfahrenen Fachkräften.
Machen Sie anschließend eine Bestandsaufnahme: Welches KI-Wissen ist in Ihrer Organisation bereits vorhanden? Vielleicht kennt sich Ihre IT-Leiterin schon gut aus, während Ausbilder*innen noch Unterstützung benötigen.
Nutzen Sie für diese Analyse praktische Werkzeuge wie Kompetenzmatrizen, die aus der ISO 9001-Norm bekannt sind. Die meisten Organisationen haben solche Übersichten bereits – sie müssen lediglich für das Thema KI angepasst werden. Stellen Sie konkrete Fragen: Was muss die Personalreferentin über KI wissen? Welche Kompetenzen braucht der Einkäufer, um qualitativ hochwertige KI-Lösungen auszuwählen?
Zum Schluss sollten Sie das Thema KI-Kompetenz in Ihre bestehenden Weiterbildungspläne integrieren. Neben Arbeitssicherheit oder Datenschutz wird KI-Kompetenz zu einer weiteren wichtigen Säule in der Personalentwicklung.
Welche Fachkompetenz benötigen KI-Kompetenztrainer*innen?
Als KI-Kompetenztrainer*in braucht man natürlich vor allem Fachwissen in genau dem Bereich, in dem man schulen möchte. Da gibt es keine Einheitslösung — je nach Schwerpunkt sind ganz unterschiedliche Kenntnisse gefragt.
Wichtig ist, dass diese Kompetenzen nachweisbar sind. Aktuell erleben wir, dass sich viele Menschen als „KI-Experten“ bezeichnen. Natürlich ist es gut, wenn jemand eigene Erfahrungen weitergibt. Aber gerade bei komplexen Themen wie Rechtsfragen oder technischen Grundlagen sollte ein Qualifikationsnachweis vorliegen. Wer Elektriker ausbildet, muss schließlich auch eine entsprechende Befähigung nachweisen können — bei KI sollte es nicht anders sein.
Daher empfehle ich, mit zertifizierten Bildungsanbietern zusammenzuarbeiten, wie beispielsweise die Haufe Akademie, die Akademie Heidelberg, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern oder Hochschulen.