Springe zum Hauptinhalt Skip to main navigation Skip to site search
Zukunftsberuf Hörgeräteakustik

„Wir sind Personal Trainer für die Ohren“

Die erste Assoziation: Eine berufliche Nische mit kleinen Läden und Senior*innen als Kundschaft. Doch wer genauer hinsieht, entdeckt einen der krisensichersten und viel­seitigsten Ausbildungsberufe überhaupt. Während viele Berufe durch den Einsatz von KI unter Druck geraten, erlebt die Hörakustik einen Aufschwung. Die Gründe dafür sind vielfältig — und sie zeigen, warum gerade junge Menschen, aber auch Quereinsteiger*innen hier außergewöhnlich gute Perspektiven finden.

Demografischer Wandel und Hörbeeinträchtigungen

Unsere Gesellschaft altert und mit dem Alter kommt häufig eine Hörminderung. „Die Babyboomer sind eine große Generation, der demografische Wandel sorgt dafür, dass wir in den nächsten Jahren immer viel zu tun haben werden“, freut sich Hörgeräteakustikermeister Alexander Sassenberg.

Menschliche Kompetenz schlägt Künstliche Intelligenz

„Die Entwicklungen im Bereich KI machen unserer Branche keine Sorgen, denn Hören ist sehr individuell“, fährt Sassenberg fort. „Hinzu kommt, dass es unzählige Hörsys­teme auf dem Markt gibt. Insofern ist es wichtig, gemeinsam mit der Kundin oder dem Kunden das System zu finden, mit dem er oder sie sich wohlfühlt und nach eigenem Empfinden gut hört. Eine KI errechnet potenzielle Hörleistungen, aber die Rückmeldungen der Menschen aufzugreifen und gemeinsam eigene Wege zu finden — das kann zumindest mittel­fristig keine KI übernehmen. Wir Hörgeräteakustiker*innen sind Personal Trainer für die Ohren.“

Mehr als nur Hörgeräte: Weitere Einsatzfelder

Die Expertise von Hörgeräteakustiker*innen ist über die klassische Hörgeräteversorgung hinaus gefragt: Moderne Hörsysteme sind Hightech-Produkte, volldigitale Mini-­Computer, die mit Smartphones kommunizieren, sich über Bluetooth verbinden, KI-gestützt Sprache von Hintergrundgeräuschen trennen und sich automatisch an unterschied­liche Hörsituationen anpassen. Diese Technologien finden in verschiedenen Bereichen Anwendung — etwa in lärminten­siven Arbeitsumgebungen, bei der Optimierung von Be­sprechungsräumen oder in der Automobilindustrie.

Die Mischung aus handwerklicher Präzision, techno­logischer Entwicklungsleistung und empathischer Beratung macht den Reiz — und die Zukunftssicherheit — des Berufs aus.

Gemeinsam das richtige Gerät finden: Hörgeräteakustiker*innen nehmen sich Zeit und passen jedes Hörsystem individuell an – das kann bisher noch keine KI.

(Quelle: ninelutsk — stock.adobe.com)

Gemeinsam das richtige Gerät finden: Hörgeräteakustiker*innen nehmen sich Zeit und passen jedes Hörsystem individuell an – das kann bisher noch keine KI.

Ein Beruf mit gesellschaftlicher Relevanz

Hören bedeutet Teilhabe, nicht gut zu hören führt häufig in die Isolation. Menschen mit Hörbeeinträchtigungen sollen und wollen aber voll am (Berufs-)Leben teilnehmen. Hör­akustiker*innen machen das möglich, indem sie nicht nur die technische Versorgung sicherstellen, sondern auch Rehabilitationsmaßnahmen durchführen und langfristig begleiten.

Der Effekt: Eine ältere Dame hört wieder die Stimme ihrer Enkelin. Ein Mittvierziger kann endlich problemlos an Meetings teilnehmen. Ein Kind erlebt zum ersten Mal Vogel­gezwitscher. Diese emotionale Komponente sollte nicht unterschätzt werden: „Man spürt es, wenn Menschen mit dem passenden Hörsystem wieder freudiger und fröhlicher werden“, berichtet Hörgeräteakustikermeisterin Ines Sassenberg.

Ein Beruf mit Zukunftspotenzial: Hör­geräteakustiker*in.“

Ausbildung statt Studium

Rund die Hälfte der Auszubildenden in der Hörakustik hat Abitur — ein Spitzenwert unter allen Handwerksberufen. Viele wählen bewusst die duale Ausbildung statt eines medizinischen oder technischen Studiums.

Der Hauptteil der Ausbildung erfolgt im Betrieb, die Berufsschulblöcke und die überbetrieblichen Ausbildungsteile finden an der Akademie für Hörakustik in Lübeck statt. „Einmal pro Quartal sind die Azubis für einen Monat im Internat untergebracht und besuchen den Unterricht in Lübeck. Mein Mann und ich haben uns dort kennengelernt“, erinnert sich Ines Sassenberg schmunzelnd. „Durch die zentrale Berufsschule ergeben sich viele Kontakte. Man hat später ein deutschlandweites Netzwerk an Kolleg*innen und Freund*innen.“

Karrierewege: Von der Ausbildung bis zur Selbstständigkeit

Nach der Gesellenprüfung sind Spezialisierungen in vielen Fachrichtungen möglich, etwa in der Pädakustik (Hörversorgung von Kindern), der Tinnitusberatung oder im Bereich implantierbarer Hörsysteme. Mit dem Meister­abschluss ist man dazu qualifiziert, einen eigenen Betrieb zu führen und selbst auszubilden.

„Wer seinen Meister hat, kann beispielsweise ein Studium zum Master in Akustik draufsetzen. Man hat alle Möglichkeiten und durch die Ausbildung einen sicheren Background“, betont Ines Sassenberg. „Wer sich dafür interessiert, kann in die Forschung gehen oder in der Entwicklung arbeiten. Ein befreundeter Kollege ist zum Beispiel für die Innenraumakustik von Pkw zuständig, andere haben zur Krankenkasse gewechselt.“

Ein Beruf mit Zukunft: Während viele Branchen unsicher sind, wird die Nachfrage nach Hörakustiker*innen stetig größer – sichere Jobs und vielfältige Karriere­chancen inklusive.

(Quelle: MalaikaCasal — stock.adobe.com)

Ein Beruf mit Zukunft: Während viele Branchen unsicher sind, wird die Nachfrage nach Hörakustiker*innen stetig größer – sichere Jobs und vielfältige Karriere­chancen inklusive.

Räumliche Flexibilität und internationale Perspektiven

Innerhalb Deutschlands ist die Nachfrage so hoch, dass es praktisch keine arbeitslosen Hörgeräteakustiker*innen gibt. Wer in eine Stadt wie München oder Berlin umziehen möchte, erhält binnen kürzester Zeit viele positive Rückmeldungen auf seine Bewerbung und kann sich den Arbeitsplatz nach Kriterien wie Wohnortnähe, Gehalt und Betriebsklima aussuchen. Der deutsche Abschluss wird in Österreich und der Schweiz ohne Zusatzqualifikation anerkannt. Im europäischen Ausland verlaufen Anerkennungsverfahren in der Regel problemlos und außerhalb Europas können Hörgeräte­akustiker*innen nach entsprechenden Zusatzqualifikationen tätig werden.

Während viele Berufe durch den Einsatz von KI unter Druck geraten, erlebt die Hörakustik einen Aufschwung.“

Quereinsteiger*innen willkommen

Die Hörakustik ist auch für Menschen in späteren Lebensphasen eine Option. „An der Akademie für Hörakustik in Lübeck gibt es Umschulungsklassen. Oft wird eine solche Umschulung finanziell vom Arbeitsamt gefördert. Die Ausbildung dauert dann nicht drei, sondern nur zweieinhalb Jahre“, erklärt Ines Sassenberg.

Gerade angesichts wirtschaftlicher Umbrüche sieht sie Chancen für die Branche: „Aktuell geraten viele großen Firmen in wirtschaftliche Schieflagen und entlassen Personal. In dieser Situation freuen wir Akustiker*innen uns über Quereinsteiger*innen, die Lebenserfahrung und technisches Know-how mitbringen.“

Die Kehrseite: Warum der Nachwuchs trotzdem fehlt

Bei so vielen Vorteilen drängt sich die Frage auf: Warum hat die Branche trotz bester Perspektiven Nachwuchs­probleme? „Das liegt vor allem daran, dass der Beruf relativ unbekannt ist“, bringt es Alexander Sassenberg auf den Punkt. „Viele junge Menschen haben schlicht keine Vorstellung davon, was Hörgeräteakustiker*innen tun. Dann sind da noch die Einstiegshürden: In der Ausbildung und im Arbeitsleben braucht man Mathe und Physik. Einige potenzielle Azubis schrecken davor zurück, die Berufsschule in Lübeck zu besuchen und wollen lieber alles zu Hause vor Ort haben. Ein weiteres Problem liegt in gesellschaftlichen Vorstell­ungen. Viele Eltern möchten, dass ihre Kinder studieren.“

Die Mischung aus handwerklicher Präzision, technologischer Entwicklungs­leistung und empathischer Beratung macht den Reiz — und die Zukunfts­sicherheit — des Berufs aus.“

Was sich ändern sollte

Um das Nachwuchsproblem zu lösen, braucht es mehrere Ansätze. „Viele Einkaufsgemeinschaften haben sich zusammengeschlossen und machen gemeinsam (Aus­bildungs-)Marketing für unseren Beruf“, berichtet Alexander Sassenberg. „Man sollte die zukünftigen Akustiker*innen außerdem schon in der Schule abholen. Es gilt, Praktika und Schnuppertage niederschwellig anzubieten, auch im Gym­nasium. Grundsätzlich geht es aber vor allem darum, die zentrale Botschaft zu vermitteln: Was unseren Beruf von anderen unterscheidet, ist seine Zukunftssicherheit bei gleichzeitig größtmöglicher Wahl- und Entwicklungs­freiheit.“

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.afh-luebeck.de
(Akademie für Hörakustik)

www.biha.de
(Bundesinnung der Hörakustiker)

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ SKILLS Magazin E-Paper-Ausgabe – 6 Ausgaben im Jahr
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
 

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen