Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt verdeutlicht eines der drängendsten Probleme: Angebot und Nachfrage passen vielerorts nicht zusammen — regional, beruflich und qualifikatorisch.
Anfang November wurde der Berufsbildungsbericht 2025 veröffentlicht — und mit ihm ein alarmierendes Signal: Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist erneut gesunken. Mit 486.700 Neuverträgen liegt das Ergebnis 0,5 % unter dem Vorjahr und immer noch deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau. Parallel dazu hat der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) seine Stellungnahme verabschiedet — und diese liest sich wie ein dringlicher Appell an alle Beteiligten.
Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zeigt ein paradoxes Bild: Während 556.100 Ausbildungsplätze zur Verfügung standen, blieben am Ende des Beratungsjahres 69.400 Stellen unbesetzt. Gleichzeitig fanden etwa 31.200 junge Menschen keine Ausbildungsstelle. Diese Diskrepanz verdeutlicht eines der drängendsten Probleme: Angebot und Nachfrage passen vielerorts nicht zusammen — regional, beruflich und qualifikatorisch.
Erfreulich hingegen: Die Ausbildungsnachfrage stieg leicht um 0,4 % auf rund 517.900. Das zeigt, dass junge Menschen die berufliche Bildung durchaus als attraktiven Weg wahrnehmen. Doch das Ausbildungsangebot ging um 1,2 % zurück — ein Zeichen für die angespannte wirtschaftliche Lage vieler Betriebe. Besonders Klein- und Kleinstbetriebe ziehen sich zunehmend aus der Ausbildung zurück. Die Beteiligungsquote ausbildungsberechtigter Unternehmen erreichte zwar mit 59 % einen Rekordwert, doch in absoluten Zahlen nimmt die Zahl ausbildender Betriebe seit über einem Jahrzehnt kontinuierlich ab — von 23,3 % im Jahr 2009 auf nur noch 18,8 % im Jahr 2023.
Fachkräftemangel trifft Chancenungleichheit
Der BIBB-Hauptausschuss betont in seiner gemeinsamen Stellungnahme die zentrale Bedeutung der beruflichen Aus- und Fortbildung für Unternehmen wie für kommende Generationen. Die Deckung des künftigen Fachkräftebedarfs stelle eine zentrale Herausforderung dar — insbesondere vor dem Hintergrund der ausscheidenden „Baby-Boomer“-Generation. Doch während Betriebe händeringend Fachkräfte suchen, bleibt vielen jungen Menschen der Zugang zu guter Ausbildung verwehrt. Die Stellungnahme der Arbeitnehmerbank bringt es auf den Punkt: Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz hängen nach wie vor stark vom Schulabschluss, dem sozialen Hintergrund und dem Wohnort ab. Die Einmündungsquote in Ausbildung ist mit 67,6 % rückläufig — nur noch zwei Drittel der Ausbildungsinteressierten beginnen tatsächlich mit einer Ausbildung. Besonders drastisch: Rund 260.000 junge Menschen fanden sich 2024 in Übergangsmaßnahmen statt in einer vollqualifizierenden Ausbildung. Fachkräfte schätzen, dass fast zwei Drittel dieser jungen Menschen sofort oder mit Unterstützung direkt eine Ausbildung hätten beginnen können. Die Folge: 2,86 Millionen 20- bis 34-Jährige bleiben ohne Berufsabschluss — ein Rekordniveau mit gravierenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen.
Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist erneut gesunken.“
Wo die Hebel anzusetzen sind
Alle drei Bänke des BIBB-Hauptausschusses sind sich einig: Es braucht dringend Verbesserungen bei der beruflichen Orientierung und beim Übergang von der Schule in den Beruf. Die Arbeitgeberbank fordert ein engeres Betreuungsnetz mit individueller Begleitung. Auch die hohe Zahl von 76.600 „unbekannt Verbliebenen“ zeigt, dass zu viele junge Menschen durchs Raster fallen. Die berufliche Orientierung muss an allen Schulen — insbesondere an Gymnasien — einen höheren Stellenwert erhalten. Dabei sollten auch MINT-Berufe sowie Berufe im Gesundheits- und Erziehungsbereich stärker in den Fokus rücken, die besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind. Unterstützungsangebote wie die Assistierte Ausbildung (AsA) müssen bekannter gemacht und effektiver genutzt werden.
Gleichwertigkeit endlich herstellen
Ein zentrales Anliegen aller Bänke: die Förderung der Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung. Die Arbeitnehmerbank fordert konkrete Maßnahmen, wie z. B. ein bundesweites Azubi-Ticket, den Ausbau von Azubi-Werken analog zu Studierendenwerken oder eine bessere Unterstützung von Auslandsaufenthalten für Auszubildende. Diese Forderungen zielen darauf ab, die strukturellen Benachteiligungen von Auszubildenden gegenüber Studierenden abzubauen.
(Quelle: NATALYA — stock.adobe.com)
Alle Beteiligten müssen an einem Strang ziehen, denn es geht um die Zukunft junger Menschen und um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die berufliche Bildung hat das Potenzial, beides zu sichern.
Ausbildungsqualität im Fokus
Alarmierend sind die Entwicklungen bei der Ausbildungsqualität: Die Vertragslösungsquote erreicht mit 29,7 % einen Rekordwert, die Prüfungserfolgsquote sinkt auf 88 %. Der stärkste Einflussfaktor für Vertragslösungen ist die Ausbildungsqualität selbst. Hier setzt die Arbeitnehmerbank auf eine Qualitätsoffensive des Bundes, um Betriebe, Ausbilder*innen, überbetriebliche Bildungsstätten und Berufsschulen zu stärken. Die Arbeitgeberbank betont hingegen die hohe Integrationskraft der Berufsausbildung: Gut jede zweite gemeldete Ausbildungsstelle setzt lediglich den Hauptschulabschluss voraus. Fast jeder dritten Bewerberin oder jedem dritten Bewerber mit Fluchthintergrund wird ein Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt. Allerdings investieren viele Ausbildungsbetriebe bereits erheblich in Förderangebote — so bleibt z. B. eine intensive ausbildungsbegleitende Sprachförderung dringend notwendig.
Ein Zukunftsfonds für die Ausbildung
Die Arbeitnehmerbank bringt einen radikalen Vorschlag ein: einen Zukunftsfonds Ausbildung, in den alle Betriebe einzahlen. So würden die Kosten für Berufsausbildung und Fachkräftesicherung auf eine breite Basis gestellt. Mittel aus dem Fonds könnten zusätzliche betriebliche und außerbetriebliche Ausbildungsplätze absichern und die Infrastruktur für eine echte Ausbildungsgarantie schaffen.
Die Länderbank weist darauf hin, dass die Passungsprobleme differenziert zu betrachten sind. Regionale und berufsspezifische Unterschiede erfordern unterschiedlich akzentuierte Instrumente und Maßnahmen. Kontakte zu Betrieben — etwa durch Praktika oder Probearbeiten — tragen entscheidend zu einem gelingenden Übergang bei. Die Länder sprechen sich für eine Fortführung der Initiative Bildungsketten aus, die Maßnahmen der beruflichen Orientierung mit Mitteln des Bundes unterstützt.
Angebot und Nachfrage passen vielerorts nicht zusammen — regional, beruflich und qualifikatorisch.“
Was jetzt zu tun ist
Der BIBB-Hauptausschuss ruft die neue Bundesregierung eindringlich auf, „die Berufsbildung im Blick zu behalten und hier deutlich spürbare Impulse zu setzen“. Die Arbeitnehmerbank fordert ein Aktionsprogramm für Menschen ohne Berufsabschluss, um einen besseren Übergang von der Schule in den Beruf zu ermöglichen.
Die Botschaft ist klar: Alle Beteiligten müssen an einem Strang ziehen. Es geht nicht nur um Zahlen und Statistiken — es geht um die Zukunft junger Menschen und um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die berufliche Bildung hat das Potenzial, beides zu sichern. Doch dafür braucht es entschlossenes Handeln, ausreichende Ressourcen und den politischen Willen, die duale Ausbildung als gleichwertige Alternative zum Studium zu etablieren. Der Berufsbildungsbericht 2025 ist damit mehr als eine Bestandsaufnahme — er ist ein Weckruf. Es liegt an uns allen, darauf zu reagieren.