Springe zum Hauptinhalt Skip to main navigation Skip to site search
Wie digitale Lernformen die Rolle des Bildungspersonals verändern

New Learning, new Teaching?

New Learning: Selbstbestimmt, vernetzt, kollaborativ

Unter New Learning wird dabei das selbstbestimmte, vernetzte, kollaborative Lernen verstanden, in dem Lernende unter Nutzung von Plattformen und gemeinsam mit ihren Peers das lernen, was für sie relevant und sinnvoll ist1. Im Diskurs über New Learning werden auch bereits bekannte und traditionsreiche Bildungskonzepte wieder aufgegriffen, wie z. B. das „erfahrungsorientierte Lernen“ (John Dewey) oder Konzepte des selbstgesteuerten und lebenslangen Lernens, das die Lernenden in den Mittelpunkt stellt und Lernen unabhängig von Bildungseinrichtungen betrachtet.

Digitalisierung als Treiber neuer Lernwege

Diese Ideen haben durch die Digitalisierung eine neue Dynamik erhalten. Durch digitale Systeme sind neue Lernwege möglich geworden, die in Ergänzung oder in Konkurrenz mit dem herkömmlichen Bildungsangebot genutzt werden können. Sie bieten individualisierte Arrangements mit kurzen und flexiblen Lerneinheiten, vernetzen verschiedene Wissensquellen und ergänzen in hybriden Formaten das Lernen in Präsenz. Systemisch vernetzt werden damit digitale Unterstützungssysteme geschaffen, die Lernen optimieren und zugleich zur zentralen Steuerungsinstanz werden.

Durch digitale Systeme sind neue Lernwege möglich geworden, die in Ergänzung oder in Konkurrenz mit dem herkömmlichen Bildungsangebot genutzt werden können.“

„Plattformisierung“ der Bildung: Chance oder Risiko?

In Analogie zur Plattform-Ökonomie könnte man von einer „Plattformisierung“ des Bildungsbereichs sprechen. Damit werden zwiespältige Entwicklungen erkennbar: eine positive Vision von einfach zugängigen, ressourcensparenden und bedarfsgerechten digitalen Systemen, die im Dienste der Lernenden optimale Lerngelegenheiten erschaffen oder als negatives Entwicklungsszenario die verselbstständigte und entgrenzte Lernmaschinerie, die datenge­trieben ihre idealen maschinellen Lernwege den lernenden Menschen aufnötigt.

Die Rolle des Bildungspersonals neu denken

In welche Richtung sich New Learning entwickeln wird, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Rolle das Bildungspersonal — die Profis in der Aus- und Weiterbildung — spielen werden. In den Diskussionen zum New Learning wird bislang wenig darüber gesprochen, ob sich durch das neue Lernen auch das Lehren verändert, „New Learning“ also auch ein „New Teaching“ erfordert.

Lehren sollte dabei nicht zu eng verstanden werden. Schon seit Längerem wird in der erziehungswissenschaft­lichen Berufsforschung darauf hingewiesen, dass Bildungsarbeit verschiedene Kernaktivitäten umfasst: das Unterrichten, Begleiten, Beraten, Organisieren und Sanktionieren2. Die Frage ist also, ob sich diese Aktivitäten durch New Learning ändern oder ob neue Aufgaben hinzukommen.

Vom Unterrichten zum Kuratieren

In der Arbeit mit Bildungsplattformen wird sich vor allem das Unterrichten verändern. Unterrichten wird nicht nur durch die mediale Vermittlung eine andere Interaktionsqualität erhalten. Die Art der Aufbereitung und Zusammenstellung von Inhalten wird sich stark verändern. Es wird darum gehen, Wissensquellen zu prüfen, zu sichern und zu präsentieren, also Bildungsgegenstände zu kuratieren3. Wissensquellen können dabei nicht nur externe Ressourcen sein, sondern könnten sich auch auf Erfahrungswissen erstrecken. Das Prüfen und Sichern von Erfahrungswissen wird einhergehen mit der Validierung von Kompetenzen, eine Aktivität, die ebenfalls an Bedeutung zunehmen wird und vermutlich das Sanktionieren als Kernaktivität stark verändern wird.

In Analogie zur Plattform-Ökonomie könnte man von einer ‚Plattformisierung‘ des Bildungsbereichs sprechen.“

Neue Rolle: Learning Designer*innen

Auch das Begleiten wird an Bedeutung gewinnen und zugleich eine Veränderung erfahren. Das Begleiten der Lernenden in ihren individuellen Lernwegen wird vor allem als Unterstützung bei der Auswahl und Verknüpfung geeigneter Formate benötigt. Dem Bildungspersonal wird hierbei die Rolle von Learning Designer*innen zukommen, die mit professionellem Blick die verschiedenen Lerngelegenheiten bewerten und im Hinblick auf die Lernziele und die individuelle Lernbiografie der Lernenden ein Angebot designen.

Beratung für Lernende und Organisationen

Hier zeigen sich Überschneidungen zur Beratung, die neben der individuellen Lern- und Entwicklungsberatung auch die Aufgabe wahrnehmen sollte, Bildungsbedarfe auf der Ebene von Organisationseinheiten oder Gruppen von Mitarbeiter*innen abzuklären und auf dieser Basis hinsichtlich angemessener Lernwege zu beraten. Und schließlich werden sich die neuen Rollen des Bildungspersonals auf das Organisieren und die Zusammenarbeit innerhalb der Organisationen und Unternehmen auswirken. Ob sich aus den neuen Lernmöglichkeiten eine stärkere Angewiesenheit der Lernenden und der Organisationen auf professionelle betriebliche oder externe Bildungsdienstleistungen ergibt, bleibt offen. Zumindest zu erwarten ist eine vertrauens­basierte und kontinuierliche Zusammenarbeit.

Prof. Dr. Carola Iller
Universität Hildesheim, Institut für Erziehungswissenschaft

Fußnoten
1 In ihrem Buch „Auf der Suche!?: New Work und New Learning des Bildungspersonals“ geben Uwe Elsholz, Stefan Klusemann & Julia Schütz (2025, Bielefeld: wbv Publikation) eine schlüssige Zusammenfassung des Diskurses. https://doi.org/10.3278/978376
3978298
2 Nittel, D., Schütz, J., & Tippelt, R. (2014). Pädagogische Arbeit im System des lebenslangen Lernens. Ergebnisse komparativer Berufsgruppenforschung. Beltz Juventa, S. 77–98.
3 Auf diesen Gedanken hat mich Eva Cendon, FernUni Hagen, gebracht.

Weitere Informationen finden Sie unter:

Carola Iller, Universität Hildesheim
www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-erziehungswissenschaft/allgemeine-erziehungswiss/team/prof-dr-carola-iller/

„Auf der Suche!?: New Work und New Learning des Bildungspersonals“
doi.org/10.3278/9783763978298