1 Im Fokus der Energiebranchen: Sanitär-, Heizungs- und Klimatechniker*innen
Deutschland soll in 20 Jahren klimaneutral sein. Das kann nur mit einem massiven Ausbau der Wind- und Solarenergie gelingen. Hierfür werden wiederum rund 300.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt. Nur: Können Bauelektriker*innen automatisch auch Windkraftanlagen installieren? Sind Dachdecker*innen immer auch in der Lage, Solaranlagen zu montieren? Welche Skills sollten sie mitbringen? Der Frage nach den erforderlichen Kompetenzen in den Klimajobs und ihrem Erwerb widmet sich diese aktuelle Studie.
Den Kern der Untersuchung zu den Jobanforderungen in Wind- und Solarbranche bilden rund 2,7 Millionen Jobanzeigen aus den Jahren 2019 – 2023. Überprüft werden sollte, inwieweit bestehende Berufsbilder diesen Anforderungen entsprechen. Der Fokus lag auf insgesamt 24 ausgewählten Berufen – 13 für den Solarsektor, 11 für die Windkraftbranche, darunter Mechatronik, Bauelektrik, Elektromaschinentechnik, aber auch Dachdeckerei sowie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Mithilfe einer Jobmonitor-Analyse wurden verschiedene Kompetenzen mit denen in anderen Branchen verglichen. Zwei Fragen standen im Mittelpunkt: Welche speziellen Kompetenzbedarfe gibt es für die Energiewende? Und: Werden in den Branchen mehr oder andere Kompetenzen für die Energiewende benötigt?
Starke Nachfrage, aber große Kompetenzlücken
Die zentralen Ergebnisse der Studie zeigen: Die Nachfrage nach Arbeitskräften für erneuerbare Energien steigt stetig. In der Solarbranche etwa wird verstärkt nach Handwerker*innen gesucht. Das bestätigt auch Jana Fingerhut, Projektleiterin bei der Bertelsmann Stiftung. „Fachkräfte für Klimajobs sind gefragt wie nie!“, so die Arbeitsmarktexpertin in einem Videokommentar zur Studie. „Bei den Dachdecker*innen kommt mittlerweile jede vierte Stellenanzeige aus der Solarbranche.“ Ähnliches gilt für den Bereich Windkraft: Im Jahr 2023 suchte die Windbranche mehr als doppelt so viele Windparkmanager*innen und Ingenieur*innen als noch im Jahr 2019.
Zugleich hat die Studie offenbart, dass Wind- und Solarbranche sehr spezielle Skills nachfragen, die in anderen Branchen weniger gefordert werden – und die auch nicht per se bei den Fachkräften vorhanden sind. „Zum Beispiel werden in den Stellenanzeigen Kompetenzen gefordert, dass ich Solaranlagen oder Photovoltaikanlagen montieren kann, aber auch mit Wärmedämmung soll ich mich gut auskennen“, erklärt Jana Fingerhut. Spezifische Skills in der Solarbranche, so ein Ergebnis der Studie, werden vor allem von Dachdecker*innen und Fachkräften für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik gefordert. Ganz vorn auf der Wunschliste stehen die Arbeitsbereiche Solarthermie (32,2 %), Dach- und Fassadenunterkonstruktionen (28,2 %) sowie Photovoltaik (22,1 %). In der Windbranche sind insbesondere Elektro- und Mechatronik-Berufe angesprochen. Hier sind die Top 3 im Ranking der nachgefragten Fachkompetenzen für den Beruf Bauelektrik Fachkraft Windkraftanlagen (59,2 %), die qualifizierte Störungssuche (39,3 %) und das Arbeitsfeld Wartung, Reparatur, Instandhaltung (37,8 %). Generell gilt auch: In der Windenergie werden mehr fachspezifische Kompetenzen verlangt als in der Solarenergie.
Folgen für die Qualifizierung
Bei den wichtigsten Berufen der Solarbranche liegt der Ähnlichkeitswert der dort benötigten Kompetenzen im Vergleich zu jenen in den traditionellen Einsatzfeldern im Durchschnitt bei 0,85. Bei absoluter Deckungsgleichheit wäre der Wert 1. Am größten, so das Ergebnis der Studie, ist die Diskrepanz bei Dachdecker*innen. Hier liegt der Ähnlichkeitswert der Kompetenzen nur bei 0,71. Als die Klassiker gelten hier noch immer Dachdecken und Abdichten.
Immerhin: Seit dem Jahr 2016 können Auszubildende als einen von fünf Schwerpunkten „Energietechnik an Dach und Wand“ wählen. Aber das reiche nicht, stellt Arbeitsmarktexpertin Jana Fingerhut fest. Auch Dachdecker*innen, die ihre Ausbildung vor 2016 abgeschlossen hätten und Solaranlagen installieren wollten, müssten zusätzliche Kompetenzen erwerben.
Bis heute gibt es in Deutschland noch keine eigenständigen Ausbildungen, etwa für die Montage von Photovoltaik-Modulen. In der Schweiz sind seit 2022 die Berufsbilder Solarinstallateur*in oder Solarmonteur*in zugelassen. Aktuell kommt in Deutschland daher vor allem gezielter Weiterbildung eine zentrale Rolle zu, heißt es in der Studie. Eine Handlungsempfehlung: entsprechende Maßnahmen für Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung planen. Eine zweite Gruppe seien all diejenigen, die bereits über Berufserfahrungen verfügen, deren Kompetenzen formal aber noch nicht anerkannt sind, zum Beispiel zugewanderte Fachkräfte. „Auch sollten Teilqualifizierungen für Geringqualifizierte angeboten werden“, ergänzt Arbeitsmarktexpertin Jana Fingerhut die Empfehlungen. Ein weiterer Punkt sei die Qualifizierung von Ungelernten – ein wichtiges Potenzial –, etwa für die Montage von Solarmodulen. Eine abschließende Empfehlung der Studie sieht vor, zu überprüfen, ob ein neuer Beruf wie Fachkraft für erneuerbare Energien auch aus mehreren Berufen gewerkeübergreifend kombiniert werden könnte. „Das könnte“, hofft auch Jana Fingerhut, „junge Leute für die Zukunftsbranche begeistern.“
Förderung bereits im Kindesalter
Vor dem Hintergrund der anvisierten Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 sind konsequente und zeitnah umgesetzte Maßnahmen essenziell, um möglichst viele Erwerbstätige für die Solar- und Windbranche zu qualifizieren, so eine abschließende Erkenntnis der Bertelsmann-Studie. Um die entsprechenden Berufe und die damit verbundenen Ausbildungswege im Bereich der erneuerbaren Energien attraktiver zu machen, so sehen es die Verfasser*innen der Studie, gelte es, junge Menschen möglichst früh über die relevanten Berufsbilder der Wind- und Solarenergie zu informieren. Dabei käme es darauf an, auch deren Bedeutung für den Klimaschutz hervorzuheben. Persönliches Engagement in diesem Bereich und aussichtsreiche Perspektiven in einer Zukunftsbranche seien gute Anreize für eine entsprechende Berufswahl.
Bereits im Kindesalter ließen sich überdies die Lust auf Handwerk und die Neugier auf technische MINT-Fächer wecken.
Fachkräfte für Klimajobs sind gefragt wie nie!“
Bei den Dachdecker*innen kommt mittlerweile jede vierte Stellenanzeige aus der Solarbranche.“