1 Poster an den Wänden der BBS 1 Uelzen zeigen die 17 Nachhaltigkeitsziele.
„Was hat die Rente mit Nachhaltigkeit zu tun?“ Stefan Nowatschin steht vor einer Maler- und Lackiererklasse und blickt in fragende Gesichter. Im Politikunterricht nimmt er seine Berufsschüler*innen mit auf eine Entdeckungsreise durch die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN) – vom Kampf gegen Armut bis zur Geschlechtergerechtigkeit bei den Rentenbezügen.
An den Wänden der Berufsbildenden Schulen 1 (BBS) Uelzen begleiten großformatige Poster diese Mission. Sie zeigen die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele, die hier mehr sind als bunte Wanddekoration: Sie sind das Herzstück eines zukunftsweisenden Bildungskonzepts. Deshalb gestaltet Stefan Nowatschin sein Lernarrangement so, dass auch die Demokratiebildung damit verbunden wird.
„Alles, was wir tun, ist auf diese Ziele ausgerichtet“, erklärt der Oberstudiendirektor, der sich selbst nicht als klassischen Schulleiter sieht, sondern eher „als Manager und Botschafter eines weltoffenen beruflichen Exzellenzzentrums mit 360-Grad-Nachhaltigkeitsbildung.“
Seine Vision ist es, die Berufliche Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BBNE) in Deutschland und weltweit voranzutreiben.
360-Grad-Nachhaltigkeitsbildung made in Uelzen
Seit 2015 haben die BBS 1 Uelzen einen ganzheitlichen und vernetzten Ansatz zur Integration von Nachhaltigkeit in die berufliche Bildung entwickelt: die 360-Grad-Nachhaltigkeitsbildung.
Der Erfolg gibt dem Konzept Recht: Die zukunftsweisende Bildungsstrategie aus Uelzen ist inzwischen mehrfach preisgekrönt und hat es zuletzt in der Kategorie „Aus- und Weiterbildung“ unter die TOP 3 des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2025 geschafft.
Bis 2030 soll in Uelzen ein komplett nachhaltigkeitsorientierter BBS Campus entstehen und als Vorbild für andere Bildungseinrichtungen dienen.
Eine Schule erfindet sich neu
Die systematische Transformation vom Regionalen Kompetenzzentrum (ReKO) Berufliche Bildung zum nachhaltigen Lernort begann mit ökologischen Initiativen. Die Ausrichtung auf das neue Leitbild erfolgte nach einem neunmonatigen Diskussionsprozess und der Zustimmung aller Verantwortlichen der BBS 1 Uelzen. „Nachhaltigkeit muss gelebt werden. Nur wenn die Beteiligten überzeugt sind, kann der Wandel gelingen“, betont Stefan Nowatschin.
Heute durchdringt das Nachhaltigkeitskonzept gemäß dem „Whole-Institution-Approach“ sämtliche Bereiche der Bildungseinrichtung: „Die Nachhaltigkeit betrifft nicht nur das Unterrichtsgeschehen, Schülerprojekte und unsere Kommunikation, sondern auch das Gebäudemanagement, die Wahl externer Dienstleister und natürlich den geplanten Neubau“, fährt Nowatschin fort. „Wenn wir Material bestellen, etwa Papier, neue Drucker oder Lebensmittel für den Snack- oder Kaffeeautomaten, versuchen wir eine Lösung zu finden, die so nachhaltig wie möglich ist.“
Zahlreiche Ideen aus Uelzen, wie zum Beispiel die Renovierung von Böden in Schulgebäuden mit Korkplatten statt Kunststoff, haben inzwischen Anerkennung und Nachahmer gefunden. „Kork ist umweltfreundlicher und schafft ein besseres Raumklima. Außerdem ist er leichter zu verlegen. Das spart nicht nur Arbeits- und Transportkosten, sondern auch Emissionen“, freut sich Nowatschin.
Doch nicht alles läuft perfekt. Mit einer Mischung aus Humor und Frustration berichtet er von der Bestuhlung seiner Klassenzimmer: „Da unterrichten wir angehende Kaufleute für Büromanagement über ergonomische Büromöbel und das Nachhaltigkeitsziel ‚Gesundheit und Wohlergehen‘ – während sie auf klapprigen Holzstühlen aus den 60er-Jahren sitzen.“ Das Budget für neue Stühle wurde bisher nicht bewilligt.
Voneinander und miteinander lernen
Die BBS 1 Uelzen baut auf Partnerschaften – und handelt damit gemäß dem 17. Nachhaltigkeitsziel. Im Mikrokosmos der Klassenzimmer werden Schüler*innen dazu animiert, sich für Referate und Gruppenarbeit in Teams zu organisieren. Zugleich spannt sich der Bogen weit über die Schulgrenzen hinaus: Der Lernort Uelzen fungiert als Dreh- und Angelpunkt auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene.
Als Leiter des internationalen Exzellenz-Netzwerks Berufliche Bildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) setzt sich Stefan Nowatschin intensiv für den Wissenstransfer ein. Die BBS 1 Uelzen verstehen sich dabei als Impulsgeber und Multiplikator. „Wir möchten Bildungseinrichtungen, Schulträger, Politiker und Unternehmen weltweit für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren und zum Dialog einladen. Alle, die es wollen, dürfen von uns lernen. Wir stellen Material zu Verfügung, wir laden zu uns ein, fahren zu Messen und Tagungen oder besuchen Interessierte im In- und Ausland. Zugleich lernen auch wir durch das Feedback und die Initiativen unserer Kooperationspartner“, so Nowatschin.
Zuletzt sind die BBS 1 Uelzen strategische Partnerschaften mit der Königlichen Berufsschule/CDTI Bangkok und der Technischen Hochschule Dongguan Polytechnic eingegangen.
Bildungspolitische Defizite bremsen Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung
In seiner Rolle als stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundesverbands der Lehrkräfte für Berufsbildung sieht Nowatschin noch viel Handlungsbedarf: „Wir brauchen klare politische Rahmenbedingungen – von Schulgesetzen bis zu Prüfungsordnungen. Außerdem haben wir bis heute bundesweit keine Weiterbildung für neuernannte Berufsschulleiter zum Thema Nachhaltigkeit. Dabei wären solche Angebote überaus wichtig und hilfreich für Personen, in deren Verantwortung es liegt, exzellente Lernorte zu gestalten, die einen signifikanten Beitrag zu einer lebenswerten Zukunft leisten.“
Wir möchten Bildungseinrichtungen, Schulträger, Politiker und Unternehmen weltweit für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren und zum Dialog einladen.“
Wir brauchen klare politische Rahmenbedingungen – von Schulgesetzen bis zu Prüfungsordnungen. Außerdem haben wir bis heute bundesweit keine Weiterbildung für neuernannte Berufsschulleiter zum Thema Nachhaltigkeit.“