Die digitale Vor- und Nachbereitung von Arbeitssituationen wird mithilfe des Projekts AZUKIT bald Teil der Ausbildungsrealität für Umwelttechnolog*innen in der Abwasserwirtschaft.
Stellen Sie sich vor: Wir schreiben das Jahr 2028. Ein angehender Umwelttechnologe steht das erste Mal vor einem offenen Kanal, in den er gleich einsteigen wird. Zuversichtlich nimmt er die Herausforderung an und auch seine Ausbilderin ist entspannt: Dank der Szenarien, die er vorab mit seinem KI-Tutor auf dem Smartphone durchgespielt hat, kennt ihr Azubi bereits die wichtigsten Abläufe und Sicherheitsmaßnahmen.
Dieser innovative Ansatz nimmt aktuell konkrete Formen an: Die digitale Vor- und Nachbereitung von Arbeitssituationen wird mithilfe des Projekts AZUKIT bald Teil der Ausbildungsrealität für Umwelttechnolog*innen in der Abwasserwirtschaft.
Von August 2024 bis Dezember 2027 entstehen ein KI-Tutor und eine digitale Lernumgebung mit dem Ziel, den Lernerfolg und die Motivation der Azubis zu verbessern. Dabei soll AZUKIT nicht nur die Ausbildung modernisieren, sondern auch dazu beitragen, das Image des Berufsfelds Abwasserwirtschaft aufzuwerten und seine Attraktivität für junge Menschen zu steigern.
„AZU“ steht für Auszubildende, „KI“ für Künstliche Intelligenz, und „KIT“ ist dem Englischen entlehnt und bedeutet so viel wie Werkzeugkasten oder Bausatz.
Kurz gesagt: AZUKIT ist ein KI-gestützter Tutor — ein digitaler Lernbegleiter für Azubis.
Das Beste aus zwei KI-Welten
AZUKIT nutzt zwei KI-Technologien: Die Verarbeitungskapazität aktueller Large Language Modelle (LLM) und die Zuverlässigkeit Intelligenter Tutorieller Systeme (ITS).
„Die ITS-Technologie existiert bereits seit Jahrzehnten und bietet einen entscheidenden Vorteil: Sie ist vertrauenswürdig", erklärt Projektkoordinatorin Darya Padbiarezskaya. „Während LLMs wie ChatGPT oft unzuverlässige Antworten liefern, arbeitet ein ITS mit korrekten Fachinhalten und gibt pädagogisch fundiertes Feedback. In der Abwassertechnik geht es oft um Sicherheit, etwa bei der Vermeidung von Stürzen oder Verletzungen an Maschinen, beim Schutz vor Gasen, Explosionen, gefährlichen Stoffen im Abwasser oder bei Rettungsmaßnahmen. Da können wir uns keine Fehlinformationen erlauben.“
Die Entwicklung eines ITS ist ein komplexer Prozess: Das Projekt-Team sammelt aktuell auf Basis von Lehrplänen, Prüfungsaufgaben, Beschreibungen und Sicherheitsanweisungen alle relevanten Materialien, die für AZUKIT eingesetzt werden sollen. In Zusammenarbeit mit Ausbilder*innen wird ein detailliertes Lern- und Wissensmodell aufgebaut. An dieser Stelle kommen die LLMs in Spiel: Sie helfen dabei, die umfangreiche Fachliteratur zusammenzutragen, zu analysieren und praktische Erfahrungen in Form von Video-Interviews zu erfassen und zu strukturieren — immer unter der finalen Kontrolle durch Fachexpert*innen.
Digitaler Lernbegleiter, Wissensbasis und Plattform
Nach der Fertigstellung soll AZUKIT aus drei Komponenten bestehen:
1. KI-Tutor: Ein persönlicher digitaler Lernbegleiter mit diagnostischer Funktion, der in praxisnahen Situationen Wissenslücken identifiziert und gezieltes Feedback gibt.
2. Interaktive Lernmaterialien: Didaktisch aufbereitete, mediengestützte Materialien, die auf spezifische Lernziele ausgerichtet sind und gezielt Wissenslücken schließen.
3. Lernplattform mit benutzerfreundlicher Schnittstelle: Diese bildet das digitale Ökosystem, das alle Komponenten integriert und zugänglich macht.
So soll Wissen zu Können werden
Das Projekt trägt den Untertitel „Lernen mit Performanz-Assessment und KI-Tutor“.
Das bedeutet: AZUKIT hilft Azubis dabei, ihr theoretisches Wissen in praktisches Handeln umzusetzen. Sie lernen nicht nur Fachwissen, sondern trainieren, wie sie dieses Wissen in realen Arbeitssituationen anwenden können.
„In der beruflichen Ausbildung gibt es dabei zwei große Herausforderungen“, erklärt Darya Padbiarezskaya: „Erstens liegt viel Fachwissen bei den Ausbilder*innen. Deren Art von Kompetenz ist oft nicht in Lehrbüchern zu finden, sondern wird direkt von Person zu Person weitergegeben. Hinzu kommt: Viele erfahrene Ausbilder*innen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Wir hoffen, dass AZUKIT auch dazu beiträgt, einen Teil ihres Wissens zu konservieren. Zweitens klaffen Theorie und Praxis oft auseinander: Azubis lernen theoretische Grundlagen in der Berufsschule, wenden sie aber erst später in der Praxis an — manchmal mit großem zeitlichem Abstand. Zudem sind praktische Übungen durch begrenzte Ressourcen und Zeit oft nicht so häufig möglich, wie es für optimales Lernen nötig wäre.“
AZUKIT setzt genau hier an: Mit dem System können Azubis selbstständig lernen und mögliche Praxis-Situationen trainieren — unabhängig davon, ob gerade ein Ausbilder verfügbar ist.
Viele erfahrene Ausbilder*innen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Wir hoffen, dass AZUKIT auch dazu beiträgt, einen Teil ihres Wissens zu konservieren.“
Eine digitale Brücke zwischen Lehrenden und Lernenden
Durch AZUKIT erhalten Azubis personalisierte Unterstützung für ihren eigenständigen Lernprozess. Das System identifiziert Wissenslücken und empfiehlt passende Lernmaterialien, um diese zu schließen — ein Ansatz, der sich auch zur Prüfungsvorbereitung eignet. So trägt AZUKIT zu einer gleichberechtigteren Ausbildung bei, unabhängig davon, welche Ressourcen der jeweilige Ausbildungsbetrieb zur Verfügung stellen kann.
Ausbilder*innen erfahren eine zeitliche Entlastung durch die teilautomatisierte Lernbegleitung und erhalten Werkzeuge für die Gestaltung individualisierter Lernpfade. AZUKIT gibt ihnen Einblick in die Lernfortschritte ihrer Auszubildenden. Dadurch können sie gezielt auf die Bedürfnisse ihrer Azubis eingehen und Präsenzphasen effektiver gestalten.
Quelle: inter 3
AZUKIT ist ein KI-gestützter Tutor — ein digitaler Lernbegleiter für Azubis.“
Lernen aus der Entwicklung: AZUKIT dokumentiert den eigenen Entstehungsprozess
Das Projekt AZUKIT vereint Entwicklung und Forschung: Während das digitale Lernsystem entsteht, werden gleichzeitig wissenschaftliche Erkenntnisse über den Entstehungsprozess selbst gewonnen. Nach dem offiziellen Projektende im Dezember 2027 soll ein nachhaltiges Produkt existieren, das genutzt und weiterentwickelt werden kann. Zudem ist eine allgemeingültige Roadmap zum Entstehungsprozess des KI-Lernsystems geplant, die sich auch auf andere Berufe übertragen lässt.
„Mit AZUKIT entsteht nicht einfach nur ein Tool“, erklärt die Projektkoordinatorin. „Wir dokumentieren auch systematisch unsere technischen Lösungen, didaktischen Ansätze und Arbeitsschritte, damit andere davon lernen können.“
Ausblick und Beteiligung
Aktuell befindet sich das Projekt AZUKIT in der Phase des Low-Fidelity-Prototyps, einer einfachen Vorab-Version zur Erprobung von Funktionen und Konzepten. Bis Ende 2025 soll ein High-Fidelity-Prototyp entwickelt werden, der bereits einem breiteren Publikum vorgestellt werden kann.
Interessierte Ausbilder*innen, Ausbildungsbetriebe, Berufsschulen und überbetriebliche Ausbildungsstätten können sich bereits jetzt bei der Projektkoordinatorin Darya Padbiarezskaya melden, um über die Entwicklung informiert zu werden oder Feedback zum zukünftigen Prototyp zu geben. Das Projektteam begrüßt ebenso Vertreter*innen anderer Ausbildungsberufe, die Interesse an einer späteren Übertragung der Technologie auf ihren Fachbereich haben.