Rahel Fischer-Battermann ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Wettbewerbs- und IT-Recht. Das SKILLS-Magazin hat mit ihr sowohl über die rechtlichen Aspekte der digitalen Barrierefreiheit als auch über Fragen der Kompetenzentwicklung gesprochen.
Welche konkreten Anforderungen stellt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Bezug auf die digitale Barrierefreiheit?
Die digitale Barrierefreiheit basiert auf vier Kernprinzipien: Die Wahrnehmbarkeit sorgt durch Alternativtexte, Untertitel und klare visuelle Gestaltung dafür, dass alle Nutzer*innen Inhalte erfassen können. Die Bedienbarkeit gewährleistet eine vollständige Tastatur- und Screenreader-Navigation. Verständlichkeit wird durch einfache Sprache und intuitive Benutzerführung erreicht. Die Robustheit stellt die Kompatibilität mit verschiedenen Hilfstechnologien sicher, sodass alle Menschen digitale Angebote uneingeschränkt nutzen können.
Die Barrierefreiheit entwickelt sich zu einem zentralen Thema in der beruflichen Bildung.“
Welche Unternehmen und Institutionen sind von den neuen Regelungen betroffen und welche sind davon ausgenommen?
Die EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit betrifft ein breites Spektrum von Anbietern digitaler Produkte und Dienstleistungen. Dazu gehören E-Commerce-Plattformen, Banken, Transportdienstleister, Anbieter audiovisueller Medien sowie öffentliche Dienstleistungen. Ausgenommen sind jedoch Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von unter 2 Millionen Euro. Auch Bestandsprodukte, die vor Juni 2025 auf den Markt gebracht wurden, sowie Fälle, in denen die Umsetzung eine unverhältnismäßige Belastung darstellen würde, fallen nicht unter die Regelung.
Welche Konsequenzen drohen, falls die Vorgaben des BFSG nicht umgesetzt werden?
Unternehmen drohen empfindliche Bußgelder und bei anhaltender Verweigerung sogar der Entzug der Gewerbeerlaubnis. Betroffene Produkte können aus dem Verkehr gezogen und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Besonders schwerwiegend ist der mögliche Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Nicht zuletzt entstehen auch erhebliche Wettbewerbsnachteile, da barrierefreie Angebote zunehmend zum Standard werden.
Warum ist es für Unternehmen sinnvoll, die digitale Barrierefreiheit umzusetzen – unabhängig von der gesetzlichen Pflicht?
Digitale Barrierefreiheit ist entscheidend für Auszubildende und Arbeitnehmer*innen, um Chancengleichheit in Ausbildung und Beruf sicherzustellen. Barrierefreie Lernplattformen und assistive Technologien ermöglichen produktives Arbeiten und Lernen unabhängig von Einschränkungen. Mit einer älter werdenden Erwerbsbevölkerung wird barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen immer wichtiger, um langfristig alle Mitarbeiter*innen einzubinden. Unternehmen profitieren von Förderprogrammen, die die digitale Zugänglichkeit unterstützen.
Digitale Barrierefreiheit ist entscheidend für Auszubildende und Arbeitnehmer*innen, um Chancengleichheit in Ausbildung und Beruf sicherzustellen.“
Wie schätzen Sie die Bedeutung der Barrierefreiheit im Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung ein – im digitalen Raum und darüber hinaus?
Barrierefreiheit spielt eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung inklusiver Arbeitswelten und gewinnt durch neue gesetzliche Vorgaben weiter an Bedeutung für Unternehmen. Die Umsetzung erfolgt dabei auf drei Ebenen: Die physische Barrierefreiheit gewährleistet durch Rampen, Aufzüge und angepasste Lehrwerkstätten den Zugang für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Die didaktische Barrierefreiheit ermöglicht durch einfache Sprache, Braille-Schrift sowie Audio- und Videounterstützung das Lernen für alle. Die technische Barrierefreiheit sichert durch Screenreader-kompatible Lernplattformen, kontrastreiche Designs und anpassbare Schriftgrößen die digitale Teilhabe und Chancengleichheit in der beruflichen Bildung. Aus Sicht von Arbeitgeber*innen und Unternehmen ist Barrierefreiheit in der beruflichen Aus- und Weiterbildung ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Sie ermöglicht, das gesamte Potenzial aller Mitarbeitenden zu nutzen, inklusive derer mit Einschränkungen. Dies stärkt nicht nur die individuelle Leistungsfähigkeit, sondern auch die Innovationskraft und Vielfalt im Unternehmen. Inklusive Bildungsangebote sichern den Zugang zu qualifiziertem Nachwuchs. Barrierefreiheit ist daher keine bloße Verpflichtung, sondern eine Investition in die Wettbewerbsfähigkeit und gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens. Sie schafft eine positive Unternehmenskultur und trägt dazu bei, die Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen.
Welche Schlüsselkompetenzen sollten in Aus- und Weiterbildungsprogrammen zur digitalen Barrierefreiheit vermittelt werden?
Folgende Skills und Herangehendweisen halte ich für essenziell: Man sollte die technischen Standards (WCAG 2.1) kennen und anwenden können. Beim Design geht es darum, Inhalte nutzerfreundlich und verständlich zu gestalten. Hinzu kommt das Wissen über die rechtlichen Vorgaben. Mit speziellen Test-Werkzeugen wird geprüft, ob alles richtig umgesetzt wurde. Bei der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit gilt es auch das Thema Datenschutz zu beachten. Denn Barrierefreiheitstools, wie KI-gestützte Sprach- und Texterkennung oder personalisierte Anpassungen, verarbeiten häufig personenbezogenen Daten, einschließlich Gesundheitsdaten. Dabei besteht die Gefahr, dass diese Daten unsachgemäß gespeichert, verarbeitet oder weitergegeben werden. Insbesondere bei unzureichendem Datenschutz können Sicherheitslücken entstehen, die zu Datenmissbrauch oder unbefugtem Zugriff Dritter führen. Um dies zu vermeiden, müssen strenge Datenschutzrichtlinien, transparente Datenverarbeitung und Sicherheitsstandards eingehalten werden, um die Privatsphäre der Nutzer zu schützen. Besonders wichtig ist aber das Gespräch mit Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind – sie wissen am besten, was sie brauchen und wie entsprechende Lösungen aussehen sollten.
Bei der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit gilt es auch das Thema Datenschutz zu beachten.“
Welche Weiterbildungsangebote und Ressourcen zur digitalen Barrierefreiheit empfehlen Sie?
Fachliche Beratung bieten Organisationen wie die Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbände sowie DIAS (Daten, Informationssysteme und Analysen im Sozialen, dias.de). Wer sich zertifizieren lassen möchte, kann Schulungen zu WCAG und Accessibility-Testing absolvieren. Als Grundlage dienen die W3C-Standards und Best-Practice-Leitfäden.
Umfassende Informationen zur digitalen Teilhabe findet man auch bei der Aktion Mensch (aktion-mensch.de).
Welche Trends sehen Sie in der Aus- und Weiterbildung zur digitalen Barrierefreiheit für die nächsten Jahre?
Die Barrierefreiheit entwickelt sich zu einem zentralen Thema in der beruflichen Bildung: Sie wird in Zukunft nicht mehr als Zusatz gelten, sondern als fester Bestandteil in allen Fachbereichen verankert sein. Neue Technologien wie KI und automatisierte Prüftools machen die Umsetzung einfacher.