„Handwerksbetriebe stehen derzeit in einem Spannungsfeld zwischen Mitarbeitermangel und Kundenmangel", betont Andrea Eigel, Beraterin im Handwerk. Besonders drastisch zeigt sich die Personalsituation im Baugewerbe: Laut der Agentur für Arbeit dauert es dort durchschnittlich mehr als acht Monate, bis eine offene Stelle besetzt werden kann.
Schnelle Anpassung durch engagierte Teams
Die Lösung liegt laut Eigel im New Work-Ansatz: „Veränderungen schnell umsetzen, das geht nur, wenn das Team mitzieht.“ Das Konzept „New Work“ stellt nicht nur betriebliche Anforderungen in den Mittelpunkt, sondern fokussiert auf die Bedürfnisse der Menschen. Entstanden ist diese Denkweise als Reaktion auf die industrialisierte Arbeit, in der Beschäftigte lediglich als „Rädchen im System“ angesehen wurden.
Die individuelle Arbeitsgestaltung führt zu einer stärkeren Bindung an den Betrieb und schafft Engagement in kritischen Situationen. Zusätzlich entstehen überzeugende Argumente im Wettbewerb um Nachwuchskräfte.
New Work basiert auf vier zentralen Prinzipien: Sinnhaftigkeit der Arbeit, selbstverantwortliches Arbeiten, Flexibilität und Weiterentwicklung der Mitarbeitenden. „Vieles davon gibt es im Handwerk bereits“, erklärt Eigel, sieht aber dennoch Entwicklungspotenzial in der Branche.
Sinnhaftigkeit macht den Unterschied
Das Handwerk kann beim ersten Prinzip, der Sinnhaftigkeit, durchaus punkten. Bei der Installation einer Heizung oder Fensterreparatur liegt der Nutzen klar auf der Hand. Gleichwohl betont Eigel: „Trotzdem ist es wichtig, den Sinn jeder vielleicht auch ungeliebten Aufgabe erklären zu können.“
Besonders Auszubildende und jüngere Teammitglieder lassen sich leichter motivieren, wenn sie Zusammenhänge verstehen. Das Kehren dient nicht der Schikane, sondern der Arbeitssicherheit. Ordnung schaffen bedeutet effizienteres Arbeiten, weil alle Werkzeuge schnell auffindbar sind.
Beim Prinzip der Selbstverantwortung geht es darum, Entscheidungsprozesse zu verändern. Statt dass der Meister alle Anweisungen gibt, übernehmen Mitarbeitende mehr Eigenverantwortung für ihre Aufgaben. Teams organisieren Baustellen selbstständig, Filialen erstellen eigenständig Schicht- und Urlaubspläne.
„Wichtige Voraussetzungen dafür sind eine gute Kommunikation und eine positive Fehlerkultur“, erklärt die Beraterin. Vertrauenskreise aus Führungskräften und Mitarbeitervertretern können über Betriebsentwicklungen sprechen und gemeinsam beraten. Die Digitalisierung unterstützt dabei: „Wenn per App Pläne und Zahlen auf der Baustelle vorliegen, muss nicht immer der Chef wegen einer Entscheidung angerufen werden."
Flexibilität über die Arbeitszeit hinaus
New Work bedeutet mehr als Home Office und Vier-Tage-Woche. „Flexibilität meint aber mehr, nämlich die Bereitschaft, die sich ändernden Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu berücksichtigen“, so Eigel.
Kreative Arbeitszeitmodelle können dabei eine Rolle spielen: „Was im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten geht, sollte auch genutzt werden.“ Beispiele sind ein späterer Arbeitsbeginn für alleinerziehende Mütter wegen der Kita-Öffnungszeiten, der direkte Start zur Baustelle von zu Hause oder kurzfristig gewährte Urlaubstage.
Das vierte Prinzip, die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden, erfordert individuelles Führungsverhalten. „Nicht jeder will eine Vier-Tage-Woche und nicht jeder will selbstverantwortlich arbeiten“, stellt Eigel klar. Führungskräfte müssen sich darauf einstellen, dass Mitarbeiter individuell geführt werden müssen.
Gleichzeitig warnt die Expertin davor, Teammitglieder abzuhängen: „Auch die Mitarbeitenden müssen sich immer wieder an Veränderungen anpassen, sei es an eine neue Software oder an eine veränderte Arbeitsweise.“
Eigel sieht New Work als Dauertrend: „Auch in Zukunft werden uns schnelle Veränderungen viel Flexibilität abverlangen – man denke nur an die rasanten Fortschritte der Künstlichen Intelligenz.“ Handwerksbetriebe benötigen eine Unternehmenskultur, die es ermöglicht, auf Veränderungen im Austausch mit dem Team zu reagieren.
„Bei New Work gibt es keine Einheitslösung, die für jeden Betrieb passt“, fasst die Beraterin zusammen. Die Umsetzung hänge stark vom Gewerk, Betrieb und Team ab. Ihre Überzeugung: In vielen Betrieben ist vieles möglich – wenn man nur will.“
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