Herr Prof. Dr. Heister, beim Zukunftsforum von World- Skills Germany haben Sie einen Impulsvortrag gehalten mit dem Titel: „Berufsorientierung ist kein zentrales Problem“. Können Sie erläutern, was Sie damit meinen?
Wir haben viele Probleme in der beruflichen Bildung. Seit einigen Jahren beobachten wir etwa, dass wir immer mehr Studierende haben, aber immer weniger junge Menschen eine Ausbildung machen wollen. Ein zweites Problem ist die Geschlechtertrennung bei bestimmten Berufen – es gibt leider in den Augen der Jugendlichen sogenannte Männer- und Frauenberufe. Im Bereich der Berufsorientierung haben wir nicht wirklich ein Problem: Hier gibt es unglaublich viel Engagement, etliche Maßnahmen und es wird viel Geld in die Hand genommen.
Welche Berufsorientierungsprogramme oder -initiativen halten Sie für besonders wirksam?
BMBF und BIBB haben eigene, sehr erfolgreiche Programme aufgelegt, wie z. B. das Berufsorientierungsprogramm – kurz BOP. Hier haben Schüler*innen die Möglichkeit, mit der Hilfe von Projektträgern verschiedene Berufe kennenzulernen, indem sie z. B. in Berufsbildungsstätten gehen. Was mir ebenso sehr gut gefällt, ist die breite Durchdringung: Es gibt kaum eine IHK oder Handwerkskammer, die nicht einen „Tag der Berufsorientierung“ oder „Tag des Handwerks“ anbietet, um den Jugendlichen die Möglichkeiten der dualen Ausbildung näher zu bringen.
In Ihrem Vortrag merkten Sie an, dass Sie noch Optimierungspotenzial bei der Systematik sehen. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Berufsbildungsstätten und der Wirtschaft und in welchen Bereichen könnten die Schnittmengen höher sein?
Wir haben zum einen ein Problem bei der Wirtschaft. Wir gehen immer davon aus, dass sich Unternehmen unbedingt im Bereich Berufsorientierung engagieren wollen; auch, um eigenen Nachwuchs zu gewinnen. Das Problem ist allerdings, dass die Wirtschaft insbesondere bei vollen Auftragsbüchern und vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel vielfach keine Zeit hat, die Berufsorientierung selbst durchzuführen. Deshalb kann Berufsorientierung nicht ausschließlich in den Betrieben selbst stattfinden; Auch der Besuch von Bildungszentren mit ihren vielfältigen Werkstätten kann hier sehr wertvoll sein. Ein Optimierungspotenzial sehe ich auch bei den Schulen. Sie werden von den vielen Angeboten externer Anbieter überschwemmt. Hier wünsche ich mir bei den Schulen mehr Engagement und Systematik, um die vielen Angebote besser zu koordinieren und Schüler*innen einen geordneteren Über- und Einblick zu ermöglichen.
Es wird viel über, aber nicht immer mit der Gen Z ge- sprochen, die ganz andere Sichtweisen auf den Arbeitsmarkt zu haben scheint als ihre Vorgängergenerationen. Welche Anknüpfungspunkte sehen Sie, um die individuellen Bedürfnisse dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Berufsorientierung noch besser zu berücksichtigen?
Ganz wichtig ist, dass wir die Gen Z über soziale Medien ansprechen. Es muss nicht immer in Präsenz sein, wir können auch über die sozialen Medien kommunizieren. Insbesondere TikTok ist hier sehr wichtig. Wir wissen, dass diese Generation dort sehr aktiv ist. Darüber können wir sie gut erreichen. Außerdem scheint es so zu sein, dass diese Generation stärker auf eine ausgewogene Work- Life-Balance achtet. Unternehmen sollten in ihrer Berufsorientierung darstellen, inwiefern sie den Jugendlichen in diesem Bereich Möglichkeiten bieten.

Prof. Dr. Michael Heister
BIBB-Abteilungsleiter Prof. Dr. Michael
Heister im Interview