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Wie Azubis aus Ruanda und deutsche Betriebe sich gegenseitig stärken

Von der Entwicklungshilfe zur Fachkräftestrategie

„Die ursprüngliche Idee war, in Ruanda Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, und zwar mit dem, was wir anbieten können: technisches Verständnis, handwerkliches Know-how, Anlagen- und Maschinenbau und eben Ausbildung in diesem Bereich“, erinnert sich Rudolphi.

2014 reiste der geschäftsführende Gesellschafter der Rema Fertigungstechnik mit seiner Frau zum ersten Mal nach Ruanda. Was Rudolphi dort entdeckte, hinterließ bei ihm einen bleibenden Eindruck: ein Land mit einer jungen, ehrgeizigen Bevölkerung. Das Durchschnittsalter liegt bei knapp 20 Jahren, jährlich verlassen etwa 20.000 Schülerinnen und Schüler die technischen Schulen — vergleichbar mit unseren Realschüler*innen.

„Wir haben die Zeit in Ruanda genutzt, um Kontakte zu knüpfen“, erzählt Rudolphi. „Am letzten Tag unserer Reise hatten wir dann einen Termin im Ministerium. Die dortigen Mitarbeitenden haben gleich Nägel mit Köpfen gemacht und ein Memorandum aufgesetzt, in dem festgelegt wurde, ­dass jährlich drei Azubis bei uns im Unternehmen ausgebildet werden sollen — davon mindestens eine junge Frau.“

Die ursprüngliche Idee war, in Ruanda Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.“

Erste Azubis kommen nach Deutschland

2015 wurde das Projekt „Machining for Rwanda's Future“ gemeinsam mit dem ruandischen Bildungsministerium und dem RP-Huye College (einem College mit Hauptstandort in der ruandischen Stadt Huye) ins Leben gerufen. Die ­ersten drei jungen Erwachsenen aus Ruanda begannen im September 2016 ihre Ausbildung als Zerspanungsmechaniker*in bei Rema Fertigungstechnik im rheinland-pfälzischen Rockenhausen. Alle drei zählten zu den besten Absolvent*innen des Polytechnischen Zentrums Huye.

2015 wurde das Projekt „Machining for Rwanda's Future“ gemeinsam mit dem ruandischen Bildungsministerium und dem RP-Huye College ins Leben gerufen.

(Quelle: Reiner Rudolphi)

2015 wurde das Projekt „Machining for Rwanda's Future“ gemeinsam mit dem ruandischen Bildungsministerium und dem RP-Huye College ins Leben gerufen.

Azubis bleiben in Deutschland: „Es wäre fatal gewesen, sie zurückzuschicken“

Ursprünglich war das Projekt als klassische Entwicklungshilfe gedacht. Die Azubis sollten mit ihrem Abschluss in der Tasche nach Ruanda zurückkehren und beim Aufbau der dortigen Industrie helfen. Doch die Realität sah anders aus. „Nachdem ich mehrmals in Ruanda war, habe ich verstanden: Da gibt es gar keine Industrie und keine passenden Einsatzorte für qualifizierte junge Fachkräfte“, berichtet Rudolphi. „Es wäre fatal gewesen, die ausgelernten Azubis nach Ruanda zurückzuschicken. Hinzu kam Corona: Mit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 wurden viele Grenzen geschlossen. Die Rückkehr in ihr Heimatland war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Jedenfalls waren wir am Ende sehr froh, dass unsere Azubis geblieben sind, auch wenn es ursprünglich anders geplant war. Schließlich hatten auch wir schon seit längerer Zeit unter dem Fachkräftemangel gelitten.“

Nachdem ich mehrmals in Ruanda war, habe ich verstanden: Da gibt es gar keine Industrie und keine passenden Einsatzorte für qualifizierte junge Fachkräfte.“

Vom Hilfsprojekt zum Netzwerk

Rudolphi berichtet, wie es weiterging: „Irgendwann haben mich Führungskräfte anderer Betriebe angesprochen nach dem Motto: ‚Mensch, ich bräuchte auch Auszubildende. Kannst du mir helfen?‘ So entstand ‚Spa(n)nende Perspek­tiven‘ — ein Netzwerk, das die Erfahrungen und das Wissen um die Ausbildung junger Menschen aus Ruanda teilt.“

Seit 2014 hat Reiner Rudolphi über eine Million Euro in das Projekt investiert.

Seit 2025 geht Rudolphi noch einen Schritt weiter. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) will er auch in Ruanda vor Ort ausbilden und dabei das duale System einführen.

(Quelle: Reiner Rudolphi)

Seit 2025 geht Rudolphi noch einen Schritt weiter. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) will er auch in Ruanda vor Ort ausbilden und dabei das duale System einführen.

Professionelles Recruiting: 1.000 Bewerbungen in 24 Stunden

Das Auswahlverfahren ist mittlerweile professionell organisiert. Einmal im Jahr werden über die Plattform „Machining for Rwanda's Future“ die offenen Ausbildungsstellen in Ruanda ausgeschrieben. „Am Montag um 8.30 Uhr habe ich das Online-Portal geöffnet und bis halb fünf abends hatte ich 1.000 Bewerbungen“, schildert Rudolphi den Ansturm bei der letzten Bewerbungsrunde.

Der Auswahlprozess ist streng: „Aus den 1.000 Bewerber*innen wählen wir zunächst alle aus, die in Englisch eine Eins haben. Das sind dann immer noch 600. Aus denen wählen wir wieder aus, wer in Mathe und Physik mindestens eine Zwei hat. Da bleiben immer noch 400 übrig.“ An der Kigali-Deutschen-Schule in Ruandas Hauptstadt wird dann in persönlichen Gesprächen die finale Auswahl von rund 100 Azubis getroffen, die eine Ausbildung in Deutschland absolvieren dürfen.

Über das Netzwerk „Spa(n)nende Perspektiven“ können inzwischen ganz unterschiedliche Berufe in rheinland-­pfälzischen Betrieben gelernt werden: „Elektroniker*in, Automatisierungstechniker*in, Zerspanungsmechaniker*in, Industriemechaniker*in, Konstruktionsmechaniker*in, sogar Dachdecker*in — darauf bin ich besonders stolz“, zählt Rudolphi auf.

Wohnung, Kommunikation mit der Ausländerbehörde, der unbekannte Alltag in Deutschland — das sind schon einige Herausforderungen, die gemeistert werden wollen.“

Die Hürden der Integration gemeinsam überwinden

Das Netzwerk „Spa(n)nende Perspektiven“ trifft sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch, denn die Integration der ruandischen Azubis ist nicht ganz unkompliziert: „Wohnung, Kommunikation mit der Ausländerbehörde, der unbekannte Alltag in Deutschland — das sind schon einige Herausforderungen, die gemeistert werden wollen“, berichtet Reiner Rudolphi.

Die Muttersprache der ruandischen Jugendlichen ist Kinyarwanda, die Amtssprache Englisch — alle Azubis sprechen daher gut bis sehr gut Englisch. Deutsch müssen sie jedoch erst lernen. „Wir haben mittlerweile eine eigene Deutschschule in Ruanda“, berichtet Rudolphi. Zu Beginn absolvieren die angehenden Azubis dort einen mehrmonatigen Intensiv-Sprachkurs.

Großer Andrang: 1.000 Bewerbungen in acht Stunden — aus den besten Kandidat*innen werden rund 100 Azubis für die Ausbildung in Deutschland ausgewählt.

(Quelle: Reiner Rudolphi)

Großer Andrang: 1.000 Bewerbungen in acht Stunden — aus den besten Kandidat*innen werden rund 100 Azubis für die Ausbildung in Deutschland ausgewählt.

Nachhaltigkeit statt Brain-Drain

Die ausgebildeten Fachkräfte bleiben zum größten Teil nach ihrer Ausbildung in Deutschland.

„Ich glaube, dass das langfristig eine Mischung wird“, prognostiziert Rudolphi. „Die meisten werden hierbleiben und auch in Deutschland Familie haben, einige werden zurückgehen und helfen die heimische Industrie aufzubauen.“ Wichtig ist ihm, dass durch die Abwanderung der talentierten jungen Erwachsenen in Ruanda kein Nachteil entsteht: „Viele gute Leute finden in Ruanda keine sinnvolle Perspektive — weil es die entsprechende Industrie bisher noch gar nicht gibt.“

Auszeichnung als Leuchtturmprojekt

Der Partnerschaftsverein Rheinland-Pfalz/Ruanda hat das Ausbildungsprogramm der Rema Fertigungstechnik als Leuchtturmprojekt ausgezeichnet, weil es beispielhaft zeigt, wie innovative Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt werden können.

Eine über 40-jährige, sogenannte „Graswurzelpartnerschaft“ zwischen Ruanda und Rheinland-Pfalz bildet die Basis. Diese hat sich von kommunalen Anfängen zu einem umfassenden Netzwerk entwickelt. Über 180 Schulen, Berufsschulen, Kirchengemeinden, Hochschulen und Vereine sind heute verbunden. Seit 1982 entstehen Projekte, die sich an den Bedürfnissen der Menschen in Ruanda ausrichten, unterstützt von rheinland-pfälzischen Partnern. Der Staat fördert dabei bürgerschaftliches Engagement, anstatt es zu steuern.

„Ich habe mein Fachkräfteproblem gelöst und brauche auch keine Agentur für Arbeit mehr“, bilanziert Rudolphi. Das Netzwerk „Spa(n)nende Perspektiven“ ermöglicht es nun anderen Unternehmen, von seinen Erfahrungen zu profitieren.

Es macht eigentlich keinen Sinn, das duale System in Ländern einzuführen, in denen kaum Industrie vorhanden ist. Man hat zwar Berufsschulen, aber es ist ja gar kein Betrieb da. Wie soll es dann dual werden?“

Neues Projekt: Duales System für Ruanda

Seit 2025 geht Rudolphi noch einen Schritt weiter. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) will er auch in Ruanda vor ­Ort ausbilden und dabei das duale System einführen.

Ein Aspekt erschwert dabei die Umsetzung, wie der Unternehmer erläutert: „Es macht eigentlich keinen Sinn, das duale System in Ländern einzuführen, in denen kaum Industrie vorhanden ist. Man hat zwar Berufsschulen, aber es ist ja gar kein Betrieb da. Wie soll es dann dual werden?“

Rudolphis Lösung: „Wir werden den dualen Ansatz über die Arbeit an einem realistischen Projekt einbringen.“ ­Dazu hat er eine Partnerschaft mit einem Unternehmen geschlossen, das eine Wasseraufbereitungsanlage entwickelt hat. ­Ziel ist es, ein marktfähiges Produkt in die Qualifizierung einzubinden. Weitere Produkte werden folgen. „Made in Ruanda“ steht dabei im Vordergrund. Bis 2030 sollen darüber 5.000 Arbeitsplätze entstehen.

Weitere Informationen finden Sie unter:

Netzwerk „Spa(n)nende Perspektiven®“: www.spannende-perspektiven.de

Bewerbungsplattform „Machining for Rwanda's Future“: machining-for-rwandas-future.de

Interview mit Reiner Rudolphi in der ­Landesschau Rheinland-Pfalz (SWR RP) vom 15.7.2025: (Ab 1:01:38) www.ardmediathek.de/video/landesschau-rheinland-pfalz/sendung-vom-15-juli/swr-rp/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIyNTM2MzA