Seit Sommer 2022 gilt im Malerbetrieb von Manfred Hergert im unterfränkischen Kitzingen die Vier-Tage-Woche. Sie war kein ausgeklügelter Schachzug des Inhabers, um sich von der Konkurrenz abzuheben und auf Fachkräftefang zu gehen, sondern entstand auf Initiative der Mitarbeitenden: „Ich bin für alle Schandtaten bereit“, lacht er. Seitdem arbeiten seine Angestellten in der Sommerzeit zehn statt acht Stunden am Tag, der Freitag bleibt für die Belegschaft frei. Der Chef nutzt den Tag, um Angebote oder Rechnungen zu schreiben und für andere Büro- und Betriebstätigkeiten, die seine Konzentration fordern – „ohne, dass ich einem meiner Jungs Putz auf die Baustelle liefern muss“, betont er augenzwinkernd. Die genießen währenddessen ihr verlängertes Wochenende: „Zwei meiner Angestellten sind letztes Jahr Vater geworden. Für die ist das toll, einen Tag mehr bei der Familie sein zu können und mehr Freizeit am Stück zu haben.“
Das A & O: Vertrauen und Disziplin
Ein Freifahrtschein ist die neue Regelung aber nicht. Hergert machte seinen Leuten zu Beginn unmissverständlich klar: „Die zehnte Stunde muss noch die gleiche Arbeitsleistung haben wie die sechste oder siebte – sonst können wir das gleich lassen!“ Seine Mannschaft belohnt das Vertrauen ihres Malermeisters: „Die Jungs sind auch in der zehnten Stunde noch voll dabei“, lobt er den Einsatz seiner Angestellten. Hergert ist sich aber auch bewusst, dass das Modell der Vier-Tage-Woche nicht für jeden Betrieb passen mag: „Man muss die Voraussetzungen haben, damit das klappt. Das geht nicht überall. Wir haben unsere festen Arbeitszeiten, da funktioniert das. Ich habe zudem nur vier Leute, da fällt das auf, wenn einer seinen Job schleifen lässt. Die Disziplin muss schon stimmen.“
Nicht alle sind begeistert …
Zurück zur normalen 5-tägigen Arbeitswoche geht es bei Hergert und seinem Team immer im Winter: „Wir stellen mit der Winter- und Sommerzeit das Arbeitszeitmodell um. Wir fangen im Winter später an und arbeiten dann auch am Freitag. Mit der Umstellung auf die Sommerzeit geht bei uns auch die Vier-Tage-Woche wieder los“, erklärt er. Der Grund liegt in der geringeren Helligkeit im Winter: „Ab 16.30 Uhr sieht man draußen einfach nichts mehr. Gerüstarbeiten sind so nicht möglich.“ Innovative Konzepte wecken zu Beginn meist Argwohn – wie war die Resonanz außerhalb des Betriebs? „Meinen Kunden ist das völlig egal“, sagt er, allerdings: „Von anderen Betrieben gab es auch Stimmen, die gesagt haben: ‚Das ist doch nix!‘, ‚Dass ihr das macht...‘ – aber das ist mir egal“, zeigt er sich resolut. Eine gesteigerte Attraktivität seines Unternehmens auf dem Stellenmarkt bringt das Vier- Tage-Modell seiner Erfahrung nach nicht mit sich: „Wir werben zwar damit, es scheint aber kein Argument zu sein. Ich habe keinen Mitarbeiter mehr dadurch bekommen.“
Mehr Produktivität, weniger Ausfallzeiten
Eine Erfahrung, die Ayleen Bauser vom Sanitärbetrieb Gaßner im baden-württembergischen Denkingen bestätigen kann: „Wir haben uns auch mehr erhofft.“ Auch wenn das Arbeitszeitmodell in der Stellenanzeige ausgeschrieben wurde und mittlerweile eine feste Größe im Betrieb ist, so richtig Thema ist es auch beim Denkingener Betrieb nicht: „Einer unserer Mitarbeiter kommt ursprünglich aus Kahla in Thüringen, ist immer gependelt. Für ihn war das natürlich eine tolle Sache – letztlich entschieden hat er sich aber für uns, weil es menschlich toll gepasst hat.“ Und zwar so gut, dass auch die Familie mittlerweile ganz ins Schwäbische umgesiedelt ist. Ayleen Bauser betont aber: „Die Vier-Tage-Woche ist ein guter Anreiz.“ Auch sonst sieht sie etliche Vorteile: „Die Produktivität ist gestiegen: Eine Duschsanierung schaffen wir jetzt in vier Tagen anstatt in fünf, weil die Mitarbeiter ihre Baustelle selbst fertig machen und nicht ihrem Kollegen überlassen wollen. Es gibt auch weniger Mitarbeiterausfall, sei es aufgrund von Krankheit oder z. B. Arztterminen. Wenn es geht, legen unsere Mitarbeiter die auf ihren freien Tag.“
Auch beim Thema skeptische Resonanz von außen zeigt sich beim Betrieb in Denkingen ein ähnliches Bild wie beim Malerkollegen aus Kitzingen. Ayleen Bauser berichtet von einem befremdlichen Feedback eines Handwerkskollegen einer anderen Branche: „Wir wurden gefragt, was uns einfällt, das Handwerk so arrogant darzustellen, als dass wir es nicht mehr nötig hätten, fünf Tage arbeiten zu müssen. Dabei hat derjenige es einfach nicht verstanden“, sagt sie. „Unser Betrieb läuft ja an fünf Tagen: Ein Mitarbeiter hat Montag frei, der andere Freitag. Die Vier-Tage-Woche ist als reiner Anreiz für unsere Mitarbeiter zu verstehen.“ Positivere Resonanz gab es indes z. B. von der Öffentlichkeit: „Wir bekommen viele Anfragen von Journalisten oder für Bachelorarbeiten.“ Es gibt aber auch viele Unternehmen, die nach Rat fragen, wie sie umstellen können, oder das Modell adaptieren: „Ein Kollege vom Bodensee hat sich das Modell zwei Jahre lang angeschaut und mittlerweile ebenso die Vier-Tage-Woche eingeführt“, berichtet Bauser.
Entstanden durch Mitarbeiterinitiative
Beim Betrieb Gaßner sieht dieses wie folgt aus: Die Wochenarbeitszeit hat der Betrieb von 40 auf 37 Stunden reduziert bei gleichem Lohn, an den einzelnen Tagen arbeiten die Mitarbeitenden länger – und das bereits seit 2017. Grund war der Fachkräftemangel. Gleich zwei Mitarbeiter verließen den Betrieb 2016. Ersatz musste her, die Suche gestaltete sich jedoch schwierig. „Für eine Baustelle haben wir uns dann zwei Leiharbeiter aus Berlin geholt. Sie haben uns gefragt, ob sie schon am Donnerstagabend zu ihren Familien zurückfahren könnten, wenn sie die Zeit vorher reinschaffen würden. Für uns war das kein Problem und plötzlich hatten wir eine Vier- Tage-Woche“, erklärt sie. Die zwei Leiharbeiter sind längst durch zwei neue Mitarbeiter ersetzt, das Modell ist geblieben. Ayleen Bauser vom Sanitärbetrieb Gaßner zieht ein positives Fazit für ihren Betrieb: „Wir machen das schon so lange. Wenn sich das nicht bewährt hätte, würden wir es nicht tun. Die Erholungsphase ist länger. Dieser eine Tag gibt schon viel Kraft und Entspannung.“ Für ihren Mann, Meister und Betriebsinhaber Marcus Gaßner, gilt die Vier-Tage- Woche übrigens nicht: „Der will das aber auch gar nicht anders“, fügt sie schmunzelnd hinzu.
Studie in England zeigt positive Ergebnisse
Die Ergebnisse der Intraprenör- Studie sind für Oktober zu erwarten. Bereits abgeschlossene Studien aus dem Ausland klingen vielversprechend. Carsten Meier, Managing Partner und Mitgründer von Intraprenör, sagte jüngst der Wirtschaftswoche: „Grundsätzlich sind alle Studien aus dem Ausland überwiegend positiv ausgefallen. In Großbritannien konnten wir positive Effekte auf die Mitarbeiterbindung, die Attraktivität der Unternehmen und die Arbeitgeberzufriedenheit feststellen. Wir konnten aber auch eine positive Produktivitätsentwicklung erkennen: Die Teilnehmenden haben gesagt, dass sie im Schnitt produktiver in einer Vier-Tage-Woche sind als in einer Fünf-Tage-Woche, außerdem stieg bei einigen der Umsatz. Wie erfolgreich die Studie in den anderen Ländern gelaufen ist, sehen wir auch daran, dass knapp 90 bis 95 Prozent der teilnehmenden Unternehmen nach der Studie in der Vier- Tage-Woche geblieben sind.“ Ob sich die Ergebnisse auf Deutschland übertragen lassen, wird sich zeigen. Trotz aller Bemühungen: Repräsentativ werden sie nicht sein und nicht jeder Betrieb kann eine Vier-Tage-Woche umsetzen. Die Studienergebnisse geben aber einen wichtigen Einblick in die Möglichkeiten, die einige Betriebe hierzulande austesten könnten – so wie es bspw. die Handwerksbetriebe Hergert und Gaßner bereits seit etlichen Jahren tun.
Wie sieht es beim Thema Ausbildung aus? Ließe sich die berufliche Bildung mit einer Vier-Tage-Woche stemmen? Das sicherlich nur, wenn alle an einem Strang ziehen, bspw. bei veränderten Ausbildungsplänen oder einer stärkeren Fokussierung auf die wichtigsten Inhalte, um die verbliebenen zeitlichen Ressourcen zu nutzen. Vielleicht wäre auch mehr Initiative der Auszubildenden gefragt, z. B. in Form von Blended-Learning oder mehr Selbstlernphasen, bspw. via Online-Tools. Aber auch andere Ansätze wie eine Ausbildung in Teilzeit wären ein spannendes mögliches Gedankenspiel. Fakt ist, ob im Berufsalltag oder in der Ausbildung, es bleiben Herausforderungen: Eine sorgfältige Planung und Umsetzung ist daher notwendig, um die Qualität im Beruf zu sichern und gleichzeitig die Vorteile des neuen Arbeitsmodells zu nutzen.
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