Berufliche Orientierung soll junge Menschen befähigen, nach Abschluss der Schullaufbahn ihren beruflichen Weg zu finden – eine Kompetenz, die besonders in Zeiten von demografischem Wandel und Fachkräftemangel von Bedeutung ist. Doch ob eigenes Fach oder Querschnittsthema, ob mehrwöchige oder eintägige Berufspraktika oder sogar ein eigener Klassenraum für die Berufliche Orientierung: Die Umsetzung sieht je nach Schule und Bundesland oft unterschiedlich aus. Also: 16 Bundesländer, 16 Konzepte? Nicht ganz.
„Berufliche Orientierung findet überwiegend in der Schule statt, daher regeln die Bundesländer, wie sie Berufliche Orientierung und den Übergang von der Schule in den Beruf im jeweiligen Land gestalten wollen“, sagt Guido Kirst, Leiter des Arbeits- bereichs Berufsorientierung und Bildungsketten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Doch obwohl es durchaus Unterschiede in der konkreten Gestaltung und Umsetzung der Maßnahmen gibt, sind vor allem die Gemeinsamkeiten auffällig: „Alle Bundesländer machen mittlerweile eine sogenannte Potenzialanalyse, meist in der 7. oder 8. Klasse“, so Tim Brüggemann, Professor für Bildungsmanagement an der Fachhochschule des Mittelstands und Co-Gründer des wissenschaftlichen Berufsorientierungsforschung (WiN.BO). „Im nächsten Schritt gehören dann Praktika in verschiedenen Ausprägungen und ein Portfolio-Instrument wie der Berufswahlpass zum absoluten Standard.“ Auch Programme für gendersensible Berufsorientierung, die zum Beispiel Schülerinnen mit klassischen MINT-Berufen in Kontakt bringen, seien weit verbreitet.
Bunte Palette an Instrumenten
„In welcher Schulform ein Kind auf seine Bildungsreise aufbricht, kann zwar das Timing und den Fokus der Beruflichen Orientierung verändern, die Instrumente sind aber immer ähnlich, darum ist die individuelle Vor- und Nachbereitung so entscheidend“, sagt Brüggemann. „Länder, Bund und Kommunen stellen den Schulen einen gut bestückten Werkzeugkasten bereit“, sagt Guido Kirst vom BIBB. Die Bundesländer setzen durch Schulerlasse oder Verordnungen den Rahmen für die Berufliche Orientierung. „Wie dieser Rahmen ausge- füllt wird, entscheiden die einzelnen Schulen selber“, so Kirst weiter.
„Manche Bundesländer machen weniger oder mehr, das liegt auch an der Größe und den finanziellen Möglichkeiten eines Landes“, so Berufsorientierungsforscher Tim Brüggemann. Einen umfassenden Überblick über die Berufliche Orientierung in den Bundesländern könne man kaum haben, da fortlaufend neue Maßnahmen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene hinzukämen. „Auch die Digitalisierung bringt etliche neue Möglichkeiten für Unterstützungs- angebote – da müssen wir aufpassen, dass wir nicht wieder in einen Maßnahmendschungel geraten“, warnt Brüggemann.
So unübersichtlich dieser „Dschungel“ ist, so eine große Vielfalt hat er auch: Viele Bundesländer haben innovative und erfolgreiche Programme, die sich vom Standard abheben. Bayern legt beim „Berufswahl-SIEGEL“, das Schulen bundesweit für besondere Leistungen in der Beruflichen Orientierung bekommen können, zum Beispiel besonderen Fokus auf die „Digitale Schule der Zukunft“. Nordrhein- Westfalen hat mit dem Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) ein umfassendes Berufsorientierungssystem entwickelt, das eine systematische Begleitung der Schüler- *innen bis zum Übergang in Aus- bildung oder Studium gewährleisten soll. Einen technischen Ansatz bietet Brandenburg: Mit Virtual-Reality- Brillen können Schüler*innen Berufe hautnah erleben und simulierte Arbeitsumgebungen durchlaufen – besonders für ländliche Regionen eine sinnvolle Ergänzung. Sachsen-Anhalt schafft mit der Initiative „Talent Com- pany“ modern ausgestattete Räume an Schulen, die ausschließlich der Berufsorientierung gewidmet sind. Ein besonderes Instrument in Sachsen sind hingegen die Praxisberater*innen, die direkt in den Schulen arbeiten und speziell für die Berufliche Orientierung geschult sind.
Je besser die Ausbildung, desto effektiver die Maßnahmen
„Je besser die Lehrkräfte aus-, oder weitergebildet sind, desto effektiver sind die Maßnahmen, das hat unsere Forschung gezeigt“, sagt Wissenschaftler Tim Brüggemann. Ob Berufliche Orientierung dabei als eigenes Fach oder Querschnittsthema in der Schule vorkommt, sei nicht so entscheidend. Viel wichtiger: „Berater und Lehrkräfte müssen wissen, was sie tun, und auch genügend Zeit für Vor- und Nach- bereitung sowie Weiterbildung haben.“ Denn selbst ein „Maßnahmendschungel“ sei am Ende kein Problem für die Praxis, „solange das richtige Angebot zur richtigen Zeit zum richtigen Schüler kommt“, sagt Brüggemann. In welcher Klasse die Schüler*innen mit der Beruflichen Orientierung starten, variiert dabei je nach Schule und Bundesland.
Dass Berufliche Orientierung bei den Schüler*innen auch wirklich ankommt, daran habe auch der Bund ein Interesse, so Guido Kirst vom BIBB, nicht nur weil sie helfen kann, den Fachkräftemangel abzuschwächen. Einer der beteiligten Bundesakteure ist deshalb die Bundesagentur für Arbeit (BA), die einen gesetzlichen Auftrag hat, Berufliche Orientierung durchzuführen. „In jede Schule kommt jemand von der Arbeitsagentur“, sagt Kirst. Ein Kooperationsvertrag zwischen der BA und den Ländern regelt die Zusammenarbeit von Schulen und Berufsberatung. Zusätzliche Leitlinien gibt die Kultusministerkonferenz (KMK) den Ländern mit einer Empfehlung zur Beruflichen Orientierung. Die Bundesinitiative „Bildungsketten“ (siehe Infokasten) fungiert in diesem Zusammenhang wie ein Dach für die verschiedenen Maßnahmen und Akteure, die am Ende alle das gleiche Ziel verfolgen: „Wir wollen helfen, dass Jugendliche Berufswahlkompetenz entwickeln, um möglichst reibungslos den Übergang von der Schule in Ausbildung oder Studium zu bewältigen“, sagt Kirst.
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