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Ein Sachstandsbericht

Psychische Gesundheit von Auszubildenden

Auszubildende und Berufstätige haben in vielen Lebensbereichen sehr unterschiedliche Bedingungen, ihr Leben nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Neben den inneren Skills spielen hier auch äußere Lebensbedingungen eine große Rolle. Psychische Störungen sind oft ein Ausdruck von inneren und äußeren Konflikten, die fehlende gute Bedingungen widerspiegeln, das eigene Leben so zu gestalten, dass Freude und Ausgeglichenheit erlebt werden können. Damit sind sie eine Art „Alarmsignal“ eines jeden, dass sich etwas ändern muss. 

Unterschiede zwischen Berufserfahrenen und Auszubildenden

 Auszubildende sind in der Regel jünger und haben weniger Lebenserfahrung als ausgelernte Berufstätige mit Berufserfahrung. Sie werden von ihren erwachsenen Gegenübern (Eltern und Ausbilder*innen) teilweise nicht als gleichwertig angesehen. In der Rolle eines Lernenden sind Auszubildende immer wieder mit neuen Aufgaben konfrontiert, für die sie erst Skills entwickeln müssen. Das ist anstrengend und kostet viel Energie. Jemand mit mehr Berufserfahrung hat bereits Know-how über Arbeitsprozesse und Routinen für wiederkehrende Abläufe verinnerlicht. So geht das, was einem Lernenden viel Kraft und Konzentration kostet, jemandem mit mehr Erfahrung in vielen Bereichen leicht von der Hand. Unabhängig davon, ob ein Betrieb eher hierarchisch strukturiert ist oder flache Hierarchien anbietet: Die Auszubildenden stehen immer am Ende der sogenannten „Hackordnung“. Aufgrund ihrer Rolle als Lernende werden sie 

manchmal als „Kinder“ angesehen, falsch eingeschätzt und nicht ernst genug genommen. Äußern Berufserfahrene Beschwerden oder Bedürfnisse, finden diese eher Gehör bei den Kolleg*innen und Führungspersonen. Bei schlechten Arbeitsbedingungen können Auszubildende weniger gut einschätzen, ob sie diese hinnehmen müssen, oder ob es Auswege, Änderungsmöglichkeiten oder gesetzliche Verpflichtungen gibt, die Besserung herbeiführen können. Hinzu kommt, dass Jungerwachsene meistens über weniger ausgereifte soziale Kompetenzen als Erwachsene verfügen. Je nach Persönlichkeit fühlen sie sich unsicher, wie sie Konflikte beim Arbeitgeber oder Kolleg*innen ansprechen können und unterlassen diese wichtigen Mitteilungen. Auch Eltern können die „treibende Kraft“ sein, die jungen Erwachsenen dahin zu lenken, ihre Ausbildungsstelle beizubehalten und ungute Bedingungen auszuhalten. 

Leben mit verschiedenen Abhängigkeiten 

Die jungen Erwachsenen stehen so inmitten von zwei Abhängigkeitsbeziehungen, einmal zu den Eltern, als auch zum Ausbildungsbetrieb. Auszubildende sind im Vergleich zu ausgelernten Erwerbstätigen viel mehr an ihre Ausbildungsstelle gebunden. Sie können beispielsweise bei Unzufriedenheit nicht ohne Weiteres – wie Berufserfahrene – den Betrieb wechseln. Ebenso sind sie aufgrund der geringen Ausbildungsvergütung auch finanziell oft an ihr Elternhaus gebunden. Ein Auszug in eine eigene Wohnung ist in der Regel damit nicht finanzierbar. Der Schritt in die eigene Selbstständigkeit, die Loslösung vom Elternhaus ist somit erst viel später umsetzbar. Gerade bei ihnen kommt es zu ernstzunehmenden hohen Fehlzeiten aufgrund von Depression oder Anpassungs- und Belastungsstörungen. Fragt man die 16- bis 25-Jährigen, hängen diese Beschwerden bei 52,3 % der Befragten mit dem Arbeitsplatz zusammen. So muss sich ein junger Erwachsener neben seinen anstehenden altersgerechten Entwicklungsaufgaben gleichzeitig den neuen Anforderungen in der Arbeitswelt anpassen. Diese Herausforderung wird – je nach Persönlichkeit – mal mehr, mal weniger als bewältigbar erlebt und kann zu hohen psychischen Belastungen führen. Jede*r 5. Auszubildende hat Angst davor, bei der Arbeit Fehler zu machen. Erschwerend kommt hinzu, dass Azubis von ihren Vorgesetzten nur teilweise Anerkennung und Lob erhalten. (Richter-Werling, 2022, S. 13) Um sich selbst einschätzen zu lernen und ein Gefühl für die eigenen Kompetenzen zu erhalten, benötigen Auszubildende zur Orientierung unbedingt auch positive Rückmeldungen von ihren Ausbilder*innen. 

Mehr Fehltage bei jüngeren Menschen 

Die psychischen Belastungen bei jungen Erwachsenen wurden schon mehrfach statistisch erhoben. Für alle Altersgruppen stieg die Anzahl der Fehltage aufgrund einer psychischen Erkrankung von 33,7 Tagen (2018) auf 39,2 Tage (2021) während der Covid- 19-Pandemie an. Allerdings finden sich bei jungen Erwachsenen mehr Fehltage als bei älteren Menschen. In der Altersgruppe 15 bis 25 Jahre stieg – sowohl bei Frauen als auch bei Männern – die Anzahl der Fehltage in den Jahren 2021 bis 2022 noch einmal um 29 %. (DAK Gesundheit, S. 7 f.) Die Pandemie hat uns allen viel abverlangt. Bei den Auszubildenden wirkten sich Kontakt- und Bewegungsmangel, fehlender Tagesrhythmus, schlechter Schlaf, ungesundes Essverhalten, ein erschwerter Zugang zu Hilfsangeboten und Vorsorge, mehr Suizidgedanken, mehr Beschäftigung mit dem Thema Tod, Zunahme familiärer Konflikte bis hin zu Gewalt und ein erhöhter Konsum von Drogen und Medien negativ auf die Psyche der noch jungen Menschen aus. (Richter-Werling, 2022, S. 13 ff.) Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Hilfsangebote wie beispielsweise Beratungsstellen für Auszubildende gibt, die diesen bei psychischen Beschwerden eine Stütze bietet. (Richter-Werling, 2022, S. 13 ff.)

Zukunftsängste und fehlende Grenzen 

Die heutige Arbeitswelt ist von Effektivität geprägt. Dies spiegelt sich auch in den Arbeitszeiten, den schlechten Pausensituationen, einer Belastung durch ständige Erreichbarkeit, Leistungs- und Zeitdruck, einer Über- oder auch Unterforderung und Konflikten mit den Arbeitgebern wider. Bei Aspekten wie bspw. der ständigen Erreichbarkeit fällt es den jungen Erwachsenen oft schwer, klare Grenzen gegenüber dem Ausbildungsbetrieb zu setzen. Meist besteht hier auch die Angst, dass gesetzte Grenzen nicht respektiert werden oder gar eine Kündigung ausgesprochen wird. Ein weiterer Aspekt, der von jedem vierten befragten Auszubildenden geschildert wird, ist die fehlende Freizeit, um sich zu erholen. Gründe dafür sind eine hohe Flexibilität während der Ausbildung und zu viele Überstunden. Diese Überforderung zeigt sich konstant hoch vor und während der Pandemie. Eine Über- oder Unterforderung wirkt sich negativ auf die Zufriedenheit aus und führt zu einem hohen Stressfaktor. (Ausbildungsreport 2023, S. 62 ff.) 

Deutliche Zunahme psychischer Erkrankungen 

Anhand des Psychreport von 2023 lässt sich feststellen, dass es einen Anstieg der Arbeitsunfälle aufgrund psychischer Erkrankungen um 48 % im Zehn-Jahres-Vergleich gab. Ebenso wird eine große Zunahme an Krankschreibungen wegen bspw. Depressionen oder Ängsten sowohl bei Frauen als auch bei Männern deutlich. Depressionen und Belastungs- und Anpassungsstörungen sind 2022 die zwei häufigsten Diagnosen bei Fehltagen. Auffällig ist außerdem der Zuwachs von psychischen Erkrankungen bei den 24- bis 29-Jährigen im Vergleich zum Vorjahr auf 24 % bei Frauen und 29 % bei Männern. Am stärksten von der Zunahme der Krankschreibungen sind hier Beschäftigte des Gesundheitswesens betroffen. (DAK Gesundheit, S. 7 ff.) Auch im Vergleich mit den Jahren 2006 bis 2022 lässt sich ein Anstieg der Fehlzeiten aufgrund von psychischen Verhaltensstörungen erwerbstätiger Personen erkennen. 2000 bis 2005 gab es hier einen Anstieg von 19 % und in den Jahren 2006 bis 2022 einen Anstieg von 130 %. (Gesundheitsreport Arbeitsunfähigkeit, 2023, S. 27) Diese Zahlen, aber auch die in vielen anderen seriösen Veröffentlichungen, bestätigen, dass psychische Erkrankungen im Allgemeinen angestiegen sind und weiterhin ansteigen. Es ist aber auch richtig, dass Ärzte psychische Erkrankungen mehr im Blick haben als früher. Aber auch unter uns in der Gesellschaft hat sich das Bild gewandelt: Psychische Störungen werden nicht mehr wie früher vor anderen verheimlicht, das Stigma „verrückt zu sein“ ist einem Verständnis gewichen, dass diese Erkrankungen wie Zahnschmerzen, „normale“ Erkrankungen sind. 

Etablierung von Hilfen an Berufsschulen und in ausbildenden Unternehmen 

Das psychische Wohlbefinden der Jungerwachsenen wird in Berufsschulen und Ausbildungsstätten nicht ausreichend thematisiert. Die Jungerwachsenen sind aktuell durch verschiedenste Einflüsse, welche im Vorangegangenen genannt wurden, stark belastet. Um sie angemessen zu unterstützen, sollten ihnen – analog der fest etablierten Studentenberatung für Studierende – psychosoziale Hilfsangebote zur Verfügung stehen (Richter-Werling, 2022, S. 13). Des Weiteren sollten auch Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe Unterstützungsangebote etablieren, als auch Lehr- und Führungskräfte für das Thema psychische Belastungen und Störungen sensibilisiert und geschult werden. Für kleine Betriebe gibt es hierfür bereits ein Coaching durch die Initiative „Neue Qualität der Arbeit (INQA)“, welche Führungskräfte bezüglich des Themas psychische Gesundheit von Auszubildenden schult. Außerdem können Auszubildende sich selbst vor hoher Belastung durch bspw. Achtsamkeitstraining oder einen Ausgleich zur Arbeit durch soziale Kontakte schützen. (Binz, 2023)

 

Mehr über die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung erfahren Sie hier: www.dptv.de 

Lesen Sie hier den kompletten Sachstandsbericht von Dipl.-Psych. Sabine Schäfer: https://www.worldskillsgermany.com/de/blog/2023/12/08/psychischegesundheit-von-auszubildenden 

Sabine Schäfer
Psychologische
Psychotherapeutin

Sabine Schäfer ist Psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis. Ihre Fachgebiete sind die Verhaltenstherapie für Erwachsene und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie für Einzel- und Gruppentherapie sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche. Seit 2002 ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende des damaligen Verbandes DPTV, seit dessen Fusion weiterhin stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). Mit 24.000 Psychotherapeut*innen ist die DPtV der größte Berufsverband für Psychologische Psychotherapeut*innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut* innen und Psychotherapeut*innen in Ausbildung in Deutschland. Weiterhin ist sie Sachverständige in vielen psychotherapierelevanten Gremien