Ein Handicap ist kein Stoppschild auf dem Weg ins Berufsleben
Ausbildung mittendrin
12.08.2025
Er ist zumeist vorgezeichnet, der berufliche Werdegang von Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Nach dem Besuch einer inklusiven Schule oder einer Förderschule folgt die Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Nur wenige schaffen den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt.
Das soll „Ausbildung mittendrin“ ändern. Das Projekt — 2022 von Eva-Maria Thoms, Mitgründerin des Kölner mittendrin e. V., initiiert – begleitet junge Leute aus dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ in und durch eine duale Ausbildung. Ziel dabei ist es, die größtmögliche berufliche Bildung zu erzielen, um einen Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.
„Die Unternehmen profitieren davon, motivierte Mitarbeiter*innen zu bekommen“, erklärt Projektmitarbeiterin Heike Götz. „Außerdem werden den Betrieben über das Budget für Ausbildung das Ausbildungsgehalt sowie die Sozialabgaben erstattet. Sie werden im Bereich der inklusiven Entwicklung des Unternehmens unterstützt, und auch Arbeitstrainings werden ihnen zum Teil abgenommen.“
Reguläre Ausbildung ist das beste Setting
Gefördert wird das Projekt vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen sowie von der Europäischen Union. Alle beteiligten Akteure (u. a. das Ministerium, die Arbeitsagentur, der Landschaftsverband Rheinland, die Kammern) von dem Vorhaben zu überzeugen, gestaltete sich anfangs als Herausforderung, die am Ende aber alle Mühen wert war und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit führte.
Prinzipiell sei es laut Heike Götz schwierig, Menschen davon zu überzeugen, dass sich eine Ausbildung lohnt, selbst dann, wenn ein erfolgreicher Abschluss unter Umständen nicht gelingen wird. Hierfür seien viele Gespräche nötig, um die Möglichkeiten statt die Beschränkungen aufzuzeigen.
„Nach unserer Meinung und unseren bisherigen Erfahrungen ist eine reguläre Ausbildung ein vielversprechender Weg“, berichtet sie, „um für die Zielgruppe der Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung berufliches Lernen zu ermöglichen. Das ist besser als in jedem anderen Setting.“
Die erfolgreiche Umsetzung von „Ausbildung mittendrin“ ist auch das Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Inklusionsdienstleister ProjektRouter gGmbH, der bereits langjährige Erfahrung in der Begleitung junger beeinträchtigter Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt hat. So stellt der Dienstleister mitunter den Zugang zu möglichen Azubis und Betrieben her, wo er ebenso die Koordination, diverse Absprachen, Prüfungsvorbereitung sowie Arbeitstrainings und vieles mehr abwickelt, was wiederum die Projektarbeit für den Verein enorm erleichtert.
Doch das Engagement von Heike Götz und ihren Kolleginnen geht noch weiter. Bei den Kammern erkundigt sich das Team regelmäßig nach geeigneten Betrieben und betreibt auch selbst Akquise. „Wichtig ist es, eine individuelle Passung zwischen Azubis und Betrieb zu ermöglichen, sowohl was Wünsche und Fähigkeiten betrifft als auch was das Zwischenmenschliche angeht.“
Wir ebnen Wege und schaffen Blaupausen für die Anwendung des Budgets für Ausbildung in verschiedenen Regionen NRWs und auch deutschlandweit.“
Erfolge schon nach kurzer Projektlaufzeit
Diese Passung scheint dem Verein zu gelingen. So konnte das Team bereits Azubis in die Gastro und den Einzelhandel vermitteln, zudem eine Auszubildende in den Bereich Veranstaltungskauffrau. Kooperationspartner REWE wird voraussichtlich jährlich eine vereinbarte Anzahl an Azubis aufnehmen. Von einigen Unternehmen kamen ebenfalls bereits konkrete Anfragen nach Auszubildenden. „Wir ebnen Wege und schaffen Blaupausen für die Anwendung des Budgets für Ausbildung in verschiedenen Regionen NRWs und auch deutschlandweit“, so Heike Götz. „Je mehr Betriebe beteiligt sind, desto mehr macht dies Schule und Nachahmer folgen.“
Obwohl das Projekt seit gerade einmal drei Jahren läuft, gehen die Erfolge schon jetzt über die reine Vermittlung hinaus und zeigen die Wichtigkeit von „Ausbildung mittendrin“.
„Eine Person hat einen erfolgreichen Abschluss im Bereich Fachkraft Gastronomie/Restaurantservice erreicht, vier weitere haben ihre Zwischenprüfung erfolgreich absolviert“, erzählt die Projektmitarbeiterin. „Vier Azubis stehen kurz vor ihrer Abschlussprüfung.“
Selbständigkeit durch die Ausbildung
Noor ist 21 Jahre alt und steht, nach ebenfalls bestandener Zwischenprüfung, am Ende ihrer Ausbildung zur Fachpraktikerin Küche. „Am meisten gefällt es mir, Gerichte selbstständig zuzubereiten“, erklärt die junge Frau. „Wenn ich etwas nicht weiß, recherchiere ich im Internet oder in einem Buch, oder ich frage beim Chef nach.“ Selbstständig arbeitet auch der 21-jährige Maximilian. Er absolvierte eine Ausbildung zum Fachpraktiker im Verkauf bei EDEKA, die er kurz vor unserem Redaktionsschluss bestand. „Eine Ausbildung ist wichtig“, sagt er. „Sehr wichtig ist es mir auch, mein eigenes Geld zu verdienen.“
Chancen statt Hürden
Eine Win-win-Situation also für beide Seiten. Während die jungen Menschen im Zuge ihrer Ausbildung über sich hinauswachsen, Verantwortung tragen und eine wichtige Rolle innerhalb des Teams einnehmen, können die Betriebe ohne finanziellen Mehraufwand ihrem Personalmangel entgegenwirken. Blendet man die vermeintlichen Hürden also einmal aus und betrachtet stattdessen die Chancen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Unternehmen den Mehrwert von „Ausbildung mittendrin“ erkennen und sich dem Projekt anschließen.