Ein Roboter, der Pflegebedürftigen Essen serviert, Gespräche mit ihnen führt und sie bei ihrer Körperpflege unterstützt — Utopie oder inzwischen Alltag in deutschen Pflegeeinrichtungen? Wir machen Bekanntschaft mit Navel, einem Pfleger der besonderen Art. Und wir blicken hinter die Kulissen eines modernen Simulationsbereichs in einem Bildungszentrum, wo Technik auf Pflege trifft.
Es sind innovative Lernmöglichkeiten, die die Pflegeschüler*innen des Regionalen Beruflichen Bildungszentrums (RBB) Müritz seit 2022 genießen, um möglichst realitätsnah Situationen der beruflichen Pflegepraxis üben und reflektieren zu können.
Im sogenannten SkillLab erlernen und festigen die Auszubildenden Einzelfertigkeiten wie die Blutzuckermessung, die Maßnahmen bei einer Unterzuckerung oder auch die Insulingabe. Diese Fertigkeiten werden später im benachbarten SimLab (Simulationslabor) anhand von Simulationstrainings zusammenhängend in die pflegerischen Handlungsabläufe integriert; so wie in der Praxis, nur ohne Risiko für die Patient*innen.
Verbunden sind SkillLab und SimLab durch einen Regieraum, in dem die Simulationen verfolgt und die Simulatoren bedient werden können. Das Simulationslabor ist nicht die einzige technische Errungenschaft im RBB Müritz. Längst werden digitale Pflegedokumentationssysteme eingesetzt, die in der Ausbildung erlernt und praktisch angewandt werden. Daneben gibt es eine Reihe von E-Learning-Angeboten.
„Auch der Unterricht wird zunehmend digitaler“, erklärt Andreas Laars, Leiter der AG SimLab am RBB. „Die klassischen Arbeitsaufträge werden in einigen Klassen fast ausschließlich digital erteilt. Gleichzeitig bieten wir auch ein größeres mediales Angebot. So finden unsere Schülerinnen und Schüler auf dem oben genannten Arbeitsauftrag nicht nur die altbekannten schriftlichen Aufgaben, sondern auch QR-Codes, welche sie zu Learning-Apps, Videos oder vertiefenden Inhalten leiten.“
Medienkompetenz ist A und O
Diese Vielzahl von Lernmöglichkeiten ist nicht nur Grundlage für ein individuelles Lernen, sondern auch ein Vorgeschmack auf sämtliche digitale Aspekte im heutigen Pflegealltag.
„Wer in der Pflege arbeitet“, so Andreas Laars, „kommt um digitale Prozesse nicht mehr herum. Daher ist es essenziell, dass Auszubildende auch insbesondere in ihrer Medienkompetenz gefördert werden.“
Obwohl die meisten Schüler*innen im digitalen Zeitalter aufgewachsen seien und ein grundsätzliches Verständnis für digitale Technologien mitbringen, bedeute dies laut dem AG-Leiter nicht automatisch einen sicheren Umgang mit fachspezifischen Anwendungen. Die Nutzung digitaler Pflegedokumentationen oder komplexer KI-gestützter Systeme erfordere daher eine gezielte Schulung, die mit praxisnahen Übungen am RBB erfolgt.
Mithilfe von KI können die Pflegeschüler*innen dann in Sekundenschnelle verschiedene Aufträge bearbeiten und somit kostbare Zeit einsparen. Dadurch verwenden sie weniger Ressourcen auf die reine Erstellung der Antwort, sondern beschäftigen sich vertiefend mit deren Überprüfung.
„Dies spielt eine große Rolle, weil die Antworten der KI fast immer plausibel klingen, jedoch fachlich lückenhaft und sogar falsch sein können“, berichtet Laars. „Im Hinblick auf die Medienkompetenz ist dies ein zentraler Punkt, welcher für die Auszubildenden auch in ihrer eigenen Lebenswelt und beim Umgang mit Informationen aus den sozialen Medien eine hohe Relevanz hat.“
Mehrwert auch für Pflegeteam
Der zukunftsorientierte Ansatz am RBB wird nicht nur von den Lehrkräften und den Schüler*innen goutiert. Unlängst wurde das Simulationstraining in der Pflegeausbildung mit dem Cornelsen Zukunftspreis ausgezeichnet.
„Bei der Weiterentwicklung unserer Labore betrachten wir nicht nur die kommenden ein bis zwei Jahre, sondern versuchen die Entwicklungen der nächsten zehn Jahre abzuschätzen“, erläutert Andreas Laars. „Dies ist bei der rasant wachsenden Zahl an digitalen Angeboten eine große Herausforderung, denn was heute ‚State of the Art‘ ist, spielt nächstes Jahr vielleicht keine Rolle mehr.“
Bei allen technischen Möglichkeiten braucht es natürlich auch fachkundiges Personal, das die Lerninhalte adäquat vermitteln kann. Hier sieht Andreas Laars eine große Technologieoffenheit, von der jungen Referendarin bis hin zur KI-interessierten Kollegin mit knapp 40 Dienstjahren. Kein Wunder, denn der technische Fortschritt mache die Arbeit am RBB effizienter und bringe einen echten Mehrwert. „Inhalte können ohne großen Aufwand gemeinsam erarbeitet werden, umfangreiche Arbeitsprozesse gewinnen deutlich an Transparenz und manchmal zeigt man einfach gerne die App, die man gestern Abend gebastelt hat“, so Laars.
Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen technischer Unterstützung sowie menschlicher Fürsorge und Empathie zu erreichen.“
Empathische Roboterwesen
Für Effizienz im Gesundheits- und Pflegebereich sorgt auch die Firma navel robotics GmbH, gegründet 2017 in München. Sie kreiert „empathische Roboterwesen, mit denen man gerne interagiert“. Ein Roboter also, mit dem man sich unterhält, spazieren geht und der für einen kocht? Nun, nicht ganz.
„Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen technischer Unterstützung sowie menschlicher Fürsorge und Empathie zu erreichen“, erklärt Sophia Warneke, Customer Success Managerin bei navel robotics. „Pflegeroboter sind speziell konzipierte Maschinen, die darauf abzielen, das Pflegepersonal zu unterstützen und pflegebedürftigen Menschen Hilfestellung zu bieten. Sie sind in der Lage, logistische Aufgaben zu übernehmen, einfache körperliche Tätigkeiten auszuführen und darüber hinaus auch komplexe Interaktionen vorzunehmen, um die soziale Teilhabe der Nutzer zu fördern.“
Der Begriff „Maschine“ greift im Falle von Navel, dem Kernstück von navel robotics, allerdings zu kurz, wenn er auch technisch zutreffen mag. Optisch hingegen wirkt Navel eher wie ein real gewordener Neffe aus einem Comic oder Cartoon, dem man sich schnell anvertraut und dem man auch einfache Aufgaben überträgt. Die Hemmschwelle für Interaktion ist somit denkbar niedrig. Und das ist gut so, denn Navel ist ein sozialer Roboter, der speziell für den Einsatz in Pflegeeinrichtungen entwickelt wurde, um das Wohlbefinden von Bewohner*innen zu steigern und gleichzeitig Pflegekräfte zu entlasten.„Mittels KI und menschenähnlichen Kommunikationsfähigkeiten bietet Navel eine einzigartige Lösung für die Herausforderungen der Pflegebranche“, berichtet Sophia Warneke.
Neben sozialen Robotern wie Navel gibt es auch Service-Roboter, die beispielsweise Medikamente, Essen oder Wäsche bringen sowie Roboter, die bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten als Assistenz eingesetzt werden, zum Beispiel Hebehilfen und Exoskelette oder auch intelligente Rollstühle bzw. Roboterarme. Eine enorme Entlastung sowohl für Pflegebedürftige als auch für die Pflegenden.
Roboter sind derzeit also in der Lage, einen ganz bestimmten Pflegebereich abzudecken, auch wenn es aus Sicht des Pflegepersonals und der Patient*innen sicher wünschenswert wäre, gleich mehrere Aufgaben einem Roboter zu übertragen. Zudem muss für einen reibungslosen Einsatz das WLAN oder die Geschwindigkeit der Datenleitung ausreichend sein.
KI als Warnung vor Sturzrisiko
Abseits der Robotik ist KI inzwischen an einigen Stellen im Gesundheitsbereich implementiert. Diese Technologien seien — wenn auch in Pflegeeinrichtungen noch nicht in großem Stil verbreitet — deutlich fortgeschrittener, zum Teil refinanzierbar und evidenzbasiert.
„Es gibt beispielsweise eine auf KI basierende Applikation zur Analyse der Wahrscheinlichkeit, ein Sturzereignis zu verzeichnen“, so Warneke. „Man erhält damit unter anderem sein individuelles Sturzrisiko sowie passende Maßnahmen als Vorschlag, um einem Sturz vorzubeugen.“
Ein im Zimmer installierter Sensor sei zudem in der Lage, eine gestürzte Person zu erfassen und das Pflegepersonal darüber zu informieren.
Eine große Entlastung für die Belegschaft stellt überdies die sprachgesteuerte Dokumentation dar, die das Gesprochene nicht nur verschriftlicht, sondern auch an der richtigen Stelle der Pflegedokumentation platziert.
Wer in der Pflege arbeitet, kommt um digitale Prozesse nicht mehr herum. Daher ist es essenziell, dass Auszubildende auch insbesondere in ihrer Medienkompetenz gefördert werden.“
Hohe Rechenleistung — enorme Auswirkung
Doch zurück zu Navel: Der 72 Zentimeter große Roboter ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Er erkennt Emotionen, Gesichtsausdrücke und Körpersprache seines Gegenübers, und reagiert darauf mit lebendiger Mimik und Gestik. Die 3D-Augen ermöglichen echten Blickkontakt. Außerdem erinnert sich Navel an frühere Gespräche und führt Dialoge, die auf Empathie abgestimmt sind.
„Navel erkennt, wenn jemand allein ist. Geplant ist, dass er in einem solchen Fall proaktiv ein Gespräch beginnt“, berichtet Sophia Warneke. „Diese Mikro-Interventionen helfen, Isolation und Apathie zu reduzieren. Die positive Ausstrahlung hebt die Stimmung der Bewohner und schafft eine angenehme Atmosphäre im Alltag.“
All das wird ermöglicht durch modernste NVIDIA-Technologie für Echtzeit-Analysen von Bild- und Tonsignale sowie einer zehnmal höheren Rechenleistung als bei vergleichbaren Robotern. Navel wird vor allem in Pflegeeinrichtungen eingesetzt, wo die Lebensqualität der Bewohner*innen verbessert wird und es das Potenzial gibt, Mitarbeitende zu entlasten. Darüber hinaus dient Navel als Forschungsplattform zur Weiterentwicklung der Mensch-Roboter-Interaktion.
Roboter als Lösung für Fachkräftemangel?
Die Reaktionen von pflegebedürftigen Personen auf Navel fallen ganz unterschiedlich aus. Während etwa ein Drittel sich sehr aufgeschlossen und neugierig zeigt, ist das zweite Drittel zunächst abwartend und ein weiteres Drittel eher ablehnend. Ähnlich beim Personal, das vom Hersteller eine ausführliche Schulung erhält und anschließend beim Ausprobieren mit den Bewohner*innen begleitet wird.
„Allein wird Robotik den Fachkräftemangel in der Pflege nicht kompensieren können“, erklärt Sophia Warneke. „Es geht stets um Unterstützung und Entlastung, die ohne Frage groß sein wird, heute aber noch gar nicht konkret abschätzbar ist.“
Roboter als technische Kollegen sind also durchaus vorstellbar, als alleinige Personaldecke eher nicht. Das grundsätzliche Problem in der Pflege sieht Warneke allerdings weniger in der Digitalisierung, Robotik oder KI, sondern „in einigen anderen Punkten wie den Finanzierungsmöglichkeiten oder den Arbeitsbedingungen“. Aber das ist ein anderes, buchfüllendes Thema …
(Quelle: RBB Müritz)
Im SimLab üben und festigen die angehenden Pflegekräfte ihre Fertigkeiten.