Die Agenda 2030, verabschiedet von der Weltgemeinschaft im Jahr 2015, setzt mit ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) den Rahmen für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die dringende Frage, welchen Beitrag die berufliche Bildung zur Erreichung dieser Ziele leisten kann. Das WorldSkills Germany-Zukunftsforum bot eine Plattform, um diese Fragen zu diskutieren und Lösungsansätze zu entwickeln. Im Rahmen der Veranstaltung boten vier Expert*innen mit ihren Impulsvorträgen wichtige Denkanstöße, die die Teilnehmenden in den anschließenden Diskussionen weiter vertieften.
Schwerpunkt Berufsbildungsforschung – Dr. Michael Scharp
Dr. Michael Scharp, Forschungsleiter „Bildung und digitale Medien“ am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin, zeigte in seinem Vortrag am Beispiel der Nachhaltigkeit in Hotel- und Gastronomieberufen, wie sich die Nachhaltigkeitsziele in der Ausbildung wiederfinden sollten. So sprach er das SDG 3.4 an: „Bis 2030 die vorzeitige Sterblichkeit aufgrund von nichtübertragbaren Krankheiten durch Prävention und Behandlung um ein Drittel senken.“ So sei die Fehlernährung auch eine Frage der gastronomischen Berufe, genauso wie die „nichtübertragbaren Krankheiten“ wie Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, welche in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ernährung stünden. Auch hob Dr. Scharp das KEEKS-Projekt (Klima- und energieeffiziente Küche in Schulen) hervor, in dem die Energieverbräuche von Schulküchen untersucht wurden.
Schwerpunkt Berufsorientierung – Prof. Dr. Michael Heister
Prof. Dr. Michael Heister, Leiter der Abteilung „Initiativen für die Berufsbildung“ im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), setzte sich in seinem Vortrag kritisch mit dem Thema Berufsorientierung auseinander. Er wies darauf hin, dass Berufsorientierung seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen habe, jedoch während der Corona-Pandemie weitgehend ausgefallen sei. Besonders hob Prof. Dr. Heister hervor, dass es bereits zahlreiche Initiativen und Programme zur Berufsorientierung gebe, und er daher keinen gravierenden Verbesserungsbedarf sehe. Allerdings plädierte er für eine bessere Systematisierung der Angebote, ein größeres Berufsorientierungsangebot an Gymnasien und die stärkere Einbindung digitaler Technologien.
Schwerpunkt Weiterbildung – Siglinde Foidl-Dreißer
Siglinde Foidl-Dreißer, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Berufsausbilder e. V., beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit den Herausforderungen der beruflichen Bildung im Hinblick auf die Erreichung der Ziele der Agenda 2030. Sie betonte die Bedeutung von Softskills wie Zeitmanagement, Kommunikationsfähigkeit und Teamarbeit, die in der beruflichen Ausbildung stärker gefördert werden müssten. Darüber hinaus stellte sie die Notwendigkeit heraus, Medienkompetenz zu vermitteln und selbstgesteuertes Lernen zu fördern. Die Entwicklung innovativer Lernmethoden und die Anpassung an spezifische betriebliche Bedarfe identifizierte sie als zentrale Herausforderungen für die Bildungspraktiker*innen in Unternehmen.
Schwerpunkt Berufsausbildung – Oberstudiendirektor Stefan Nowatschin
Oberstudiendirektor Stefan Nowatschin, stellvertretenderBundesvorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung und Schulleiter der Berufsbildenden Schulen 1 in Uelzen, stellte in seinem Vortrag die Bedeutung von Exzellenzzentren für die berufliche Bildung in den Vordergrund. Er beschrieb den BBS Campus Uelzen als ein regionales Exzellenzzentrum für Berufliche Bildung Nachhaltige Entwicklung, das als Leitstelle für ein globales Netzwerk dient. Nowatschin erläuterte, wie durch Lernortkooperationen zwischen beruflichen Schulen und Betrieben nachhaltige Bildungslandschaften geschaffen werden können. Diese Kooperationen seien essenziell, um Bildung für nachhaltige Entwicklung im Alltag der Berufsschulen und Unternehmen zu verankern.
Diskussionen und Ergebnisse: Azubis als Individuen im Fokus
Die nachfolgenden Diskussionen zeigten, dass viele der aktuellen Herausforderungen in der beruflichen Bildung darauf abzielen, die Persönlichkeit und individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden besser zu berücksichtigen. Themen wie „Learning by Doing“, die Entwicklung von Softskills und die Unterstützung der psychischen Gesundheit von Auszubildenden wurden als essenziell hervorgehoben. Die Teilnehmenden betonten, dass es wichtig sei, weg vom „Gießkannenprinzip“ hin zu einer stärker individualisierten Ausbildung zu kommen, die den Auszubildenden mehr Perspektiven und Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung bietet. Dabei sprachen die Bildungspraktiker*innen vor allem folgende Punkte an:
- Softskills: Die Förderung von Sozialkompetenzen, Eigenverantwortung und Kommunikationsfähigkeiten bei den Auszubildenden stand im Mittelpunkt. Die Teilnehmenden hoben hervor, dass diese Fähigkeiten in einer zunehmend automatisierten Arbeitswelt von großer Bedeutung seien.
- Praktische Umsetzung der Theorie: Ein weiteres zentrales Thema war die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Die Bildungspraktiker*innen forderten, dass Auszubildende in der Lage sein müssen, das theoretische Wissen praktisch anzuwenden und sich dabei auch mit realen beruflichen Herausforderungen auseinanderzusetzen.
- Psychische Gesundheit: Es wurde darauf hingewiesen, dass die psychischen Belastungen von Auszubildenden zunehmen. Dies erfordere eine verstärkte emotionale Unterstützung und Begleitung.
- Individuelle Förderung: Es bestand Einigkeit darüber, dass die Ausbildung stärker auf die individuellen Bedürfnisse und Stärken der Auszubildenden eingehen müsse. Das bedeute auch, dass den jungen Menschen mehr Freiraum für selbstgesteuertes Lernen und Eigenverantwortung eingeräumt werden sollte.
Weitere zentrale Diskussionspunkte waren die Qualität der Lernorte, die Abbrecherquote in der Ausbildung und die Motivation der Auszubildenden. Besonders intensiv wurde die Frage erörtert, ob die duale Ausbildung in ihrer aktuellen Form noch zeitgemäß ist oder modifiziert werden sollte, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Die Teilnehmenden des Zukunftsforums kamen zu dem Schluss, dass gesetzliche und ordnungspolitische Regelungen allein nicht ausreichten. Vielmehr müssten die Bildungspraktiker*innen selbst aktiv werden, um die Ausbildung zu transformieren.
Fazit
Das WorldSkills Germany-Zukunftsforum 2024 zeigte eindrucksvoll, dass die berufliche Bildung in Deutschland zwar vor Herausforderungen steht, aber auch zahlreiche Chancen bietet. Die Diskussionen und Impulsvorträge machten deutlich, dass es nicht nur auf technische Innovationen, sondern vor allem auf die Förderung von Softskills, Sozialkompetenz und eine nachhaltige Entwicklung ankommt. Die Bildungspraktiker*innen waren sich einig, dass es mehr Freiräume für Experimente und innovative Ansätze braucht, um die Berufsausbildung zukunftsfähig zu gestalten. Dabei sei es wichtig, bestehende Handlungsspielräume zu nutzen und Lernortkooperationen zu stärken, um eine ganzheitliche und nachhaltige Bildungslandschaft zu gestalten.