Till Wollong arbeitet seit 2005 als selbstständiger Digital Designer und legt dabei besonderen Wert auf eine barrierefreie Umsetzung. Das SKILLS Magazin hat mit ihm über Weiterbildung, häufige Missverständnisse und die positiven Effekte der digitalen Barrierefreiheit gesprochen.
Herr Wollong, wie haben Sie sich die Kenntnisse zur digitalen Barrierefreiheit angeeignet?
Die technischen Grundlagen habe ich während meiner Berufsausbildung als Mediengestalter erlernt. Ein Schlüsselprojekt war 2011 die Entwicklung einer Website für eine blinde Person. Diese Zusammenarbeit ermöglichte es mir, assistive Technologien wie Braille-Tastatur und Screenreader kennenzulernen. Die Kooperation besteht bis heute. Die Person unterstützt mich beim Testen – gemeinsam stellen wir die Barrierefreiheit von Websites sicher.
Sie sind auch als Dozent und Berater für digitale Barrierefreiheit tätig. Was sind Ihre Erfahrungen damit?
Trotz der bevorstehenden gesetzlichen Verpflichtungen ist das Bewusstsein für das Thema in vielen Unternehmen noch erstaunlich wenig ausgeprägt. In der Praxis begegne ich häufig einer Mischung aus Halbwissen und kompletter Unwissenheit. Besonders auffällig ist, dass digitale Barrierefreiheit oft als reine Pflichtaufgabe wahrgenommen wird und nicht als Chance zur Verbesserung der eigenen digitalen Angebote. Dabei übersehen viele, welcher Mehrwert eigentlich darin steckt.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Ressourcenplanung. Es werden weder Geld noch Arbeitszeit für Barrierefreiheit eingeplant. Häufig wird das Thema abgegeben, um die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen. Dabei würde sich der systematische Aufbau von unternehmensinternem Know-how langfristig sowohl wirtschaftlich als auch strategisch auszahlen.
Trotz der bevorstehenden gesetzlichen Verpflichtungen ist das Bewusstsein für das Thema in vielen Unternehmen noch erstaunlich wenig ausgeprägt.“
Was empfehlen Sie Unternehmen und Einrichtungen der beruflichen Bildung, die ihre Mitarbeiter*innen und Auszubildende in Sachen Barrierefreiheit fit machen wollen?
Grundsätzlich sollte vor allem die Begeisterung für das Thema geweckt werden, denn es geht um viel mehr als nur Standards und Vorschriften: Barrierefreiheit betrifft uns alle. Jede und jeder kann irgendwann darauf angewiesen sein. Nur wenige Menschen werden mit einer Behinderung geboren. Die meisten Einschränkungen kommen erst im Lauf des Lebens – durch einen Unfall, eine Krankheit oder schlicht durchs Älterwerden.
Welche positiven Auswirkungen hat Barrierefreiheit – über die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen hinaus?
Die fortschreitende Digitalisierung prägt unseren Alltag. Digitale Barrierefreiheit schafft nicht nur einen gleichberechtigten Zugang für alle Menschen, sondern führt zu intuitiven Lösungen, von denen alle profitieren. Für Unternehmen lohnt sich Barrierefreiheit gleich mehrfach: Sie erreichen mehr Menschen und ihr Image verbessert sich. Denn viele Kunden achten heute darauf, ob sich Unternehmen sozial engagieren. Und noch ein praktischer Pluspunkt: Barrierefreie Websites werden von Google und Co. besser gefunden. Logisch eigentlich – Suchmaschinen sind ja quasi „blind“ und finden sich auf gut strukturierten Seiten besser zurecht.
Was hat dazu geführt, dass so viele Websites nicht barrierefrei sind?
Die weit verbreitete Nutzung von Frameworks, Templates und Website-Baukästen – das Ergebnis sind optisch ansprechende Websites, die technisch aber teilweise Barrieren aufweisen. Ein weiteres Problem liegt in der Trennung der Disziplinen. Viele Designer haben wenig Bezug zum Programmieren und möchten sich damit auch nicht beschäftigen. Dabei wäre ein grundlegendes Verständnis wichtig – schließlich bestehen alle digitalen Produkte am Ende aus Code. In der Praxis wird die Verantwortung für Barrierefreiheit oft zwischen Abteilungen hin- und hergeschoben. Künftig sollte es das Ziel sein, dass alle Beteiligten sich entsprechend einbringen, um ihren Teil der Barrierefreiheit zu prüfen und zu gewährleisten.
Welche Ressourcen können Sie Berufstätigen und Unternehmen empfehlen, wenn es darum geht, sich in Sachen Barrierefreiheit weiterzubilden?
Eine hilfreiche Plattform ist das A11y Collective, das einen gut strukturierten Einstieg in die Thematik bietet. Die Plattform vermittelt Grundlagenwissen in kompakten Einheiten und deckt dabei alle relevanten Bereiche ab – von Design über Code bis hin zu Content. Die Inhalte sind verständlich aufbereitet und die Kosten überschaubar.
LinkedIn ist eine weitere Quelle für aktuelle Entwicklungen im Bereich Barrierefreiheit. Über den Suchbegriff „a11y“ findet man Expert*innen, die über Neuerungen berichten und Einblicke in Fachkonferenzen teilen. Die Plattform bietet zudem Zugang zu kostenlosen Webinaren und ermöglicht den Austausch in spezialisierten Gruppen und Communities.
Die Checkliste von Intopia ermöglicht es, alle relevanten Aspekte der Barrierefreiheit systematisch zu testen und umzusetzen – von der Entwicklung bis zum UX-Design.
Barrierefreiheit geht uns alle an und jeder kann irgendwann darauf angewiesen sein.“
Welche Tools haben sich in Ihrer Praxis als besonders hilfreich erwiesen?
Interessant sind die „Accessibility Personas“ von gov.uk. Das sind sieben Browser-Profile, die verschiedene Einschränkungen simulieren. So kann man direkt testen, wie die eigene Website für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen funktioniert. Accessible Insights ist ein Browser-Tool, das wie eine interaktive Checkliste funktioniert. Es führt Schritt für Schritt durch verschiedene Tests zur Barrierefreiheit. Dabei zeigt es direkt auf der Website an, wo Probleme liegen. Die gefundenen Fehler lassen sich einfach mit dem Team über eine Zusammenfassung teilen.
Ein Blick in die Technik-Geschichte zeigt:
Viele Funktionen, die wir heute ganz selbstverständlich nutzen, wurden ursprünglich für Menschen mit Behinderungen entwickelt. Nehmen wir die Spracherkennung und Sprachsteuerung: Zunächst war sie für Menschen gedacht, die keine Tastatur bedienen können – inzwischen sprechen wir alle mit unseren Geräten. Textnachrichten entstanden als Lösung für Hör- und Sprachbehinderte. Heute sind sie zu einem unverzichtbaren Teil unserer täglichen Kommunikation geworden. Oder Untertitel: Ein Muss für Gehörlose, aber auch ideal zum Sprachenlernen oder wenn man in einer lauten Umgebung Videos ansehen möchte.