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Als Beraterin für Barrierefreiheit hilft Ina Fischer dabei, zu einem selbstbestimmteren Leben vieler Menschen beizutragen

Im Einsatz für mehr

Frau Fischer, bevor wir über Ihre ​Arbeit sprechen: Welche Empfehlungen hätten Sie als Beraterin und Betroffene aktuell an Unternehmen?

Da kommt von mir gleich ein Appell: Sie sollten bitte die vielen hochausgebildeten Menschen mit Behinderung als potenzielle Arbeitnehmer in den Blick nehmen. Unter ihnen gibt es eine hohe Arbeitslosenquote, trotz Fachkräftemangel, weil sich die Arbeitgeber oft einfach nicht trauen, diese Menschen einzustellen. Im Handwerk sind viele gute Leute in Behindertenwerkstätten beschäftigt. Dabei sind sie sehr engagiert, gut ausgebildet und könnten am ersten Arbeitsmarkt teilhaben. Dort bekommen sie aber einfach keine Chance. Das liegt auch an bürokratischen Barrieren, etwa dem Antragswesen mit so vielen Verfahren, die zu durchlaufen sind. Die sind längst auch nicht mehr zeitgemäß. Es gibt bei uns also noch in vielen Bereichen eine Menge zu tun.

Mit Ihrer Tätigkeit als Beraterin für Barrierefreiheit geben Sie oft wichtige Impulse. Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Meistens bekomme ich eine E-Mail von der Beratungsstelle. Die Anfragen kommen auf meinen Wunsch hin per E-Mail. Die Beratungen selbst finden mittlerweile oft per Videochat statt, oder eben per Mail oder am Telefon. In den eineinhalb Jahren meiner freien Mitarbeit war ich erst einmal vor Ort, das war im Deutschen Museum in München. Eine Kollegin, die Architektin im Kulturbereich ist, wollte ihre umgesetzten Maßnahmen von jemandem testen lassen. Da ging es in der Ausstellung um die Frage, ob alles für blinde Menschen gut zugänglich ist. Ansonsten​ arbeite ich überwiegend im Homeoffice. Ich werde zum Beispiel per Mail gebeten, jemanden anzurufen oder eine Anfrage schriftlich zu beantworten.

Kommen auch von anderer Seite Anfragen?

Ja, auch von Architektenkollegen, etwa: „Wir haben hier jemanden, der speziell einen Fokus auf Blinden- und Sehbehindertenberatung haben möchte. Hast Du Zeit für eine Tandemberatung?“ Wir arbeiten sehr oft im Tandem, wenn es um bauliche Barrierefreiheit geht. Ich bin dann vor allem die Expertin für das Thema Blind- und Sehbehindertenberatung. Darüber hinaus mache ich auch noch viel zu digitaler Barrierefreiheit mit einem Kollegen, der aus der Programmierung kommt. Ein dritter Aspekt ist die kommunikative Barrierefreiheit, etwas das Thema Leichte Sprache.

Gab es auch schon ganz außergewöhnliche Projekte?

Das kann ich gar nicht so priorisieren. Ich finde jede Anfrage wichtig, weil jeder, der sich um das Thema Barrierefreiheit Gedanken macht, wichtig ist – da es einfach ein Schritt in die richtige Richtung ist. Es gibt auch viele Betroffene, die mich direkt anfragen. Bei einem konkreten Beispiel kam ein Vater auf mich zu, dessen Tochter im letzten September in eine weiterführende Privatschule gekommen ist, und die Einrichtung war nicht barrierefrei. Die Schulleitung zeigte sich aber bereit, umzubauen und entsprechende Förderanträge zu stellen, etwa über die Aktion Mensch. Ich habe dem Vater vor allem Input für die Antragstellung geliefert, das meiste per Telefon und in ein paar Mails.­ ­Ich mache seit zwanzig Jahren Aktion-Mensch-Projekte und weiß, wie das mit den Anträgen funktioniert oder welches Wording zu verwenden ist. Eine Ortsbegehung hat dann eine meiner Architekturkolleginnen gemacht. Für die Schule lohnen sich die Umbauten, etwa ein Aufzug oder barrierefreie Toiletten, gleich mehrfach, weil jetzt mehr Menschen mit Behinderung aufgenommen werden können.

Was ist Ihnen an Ihrer Beratungsarbeit persönlich wichtig?

Mehr Teilhabe für möglichst viele Menschen mit Behinderung zu schaffen. Und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, wie wichtig Barrierefreiheit ist. Eine Rampe hilft ja nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch älteren Menschen, die froh sind, keine Stufen mehr steigen zu müssen. In zehn oder 20 Jahren, wenn es noch mehr ältere Menschen gibt, wird es hoffentlich keine Eingänge mit Stufen mehr geben.

Welche anderen Herausforderungen begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit?

Das fängt für mich bei der mangelnden Barrierefreiheit auf PDF-­Dokumenten an. Im baulichen Sinn geht es oft um Blindenleitsysteme oder Blindenampeln. Auf die Liste gehören auch teilweise noch nicht umfänglich zugängliche Geldautomaten. Vieles andere ist auch noch nicht ausgereift. Nach wie vor besteht das große Manko, dass Barrierefreiheit, anders als der Brandschutz, noch immer nicht von Anfang an mitgedacht wird. „Oh, wir haben ja gar keine Rampe, sondern ­nur Stufen.“ Oft passieren die Korrekturen erst im Nachgang, was der teurere ­Weg ist.

Was wird sich durch das Barriere­freiheitsstärkungsgesetz (BFSG) für die Beratung ändern?

Wir werden vermutlich mehr Anfragen zum Thema digitale Barrierefreiheit bekommen. Die Kommunen sind seit September 2023 verpflichtet, öffentliche Webseiten barrierefrei zu gestalten. Daran ist zu erkennen, wie zäh das läuft. Nach einem Jahr, so der aktuelle Stand, sind erst 10 – 15% aller öffentlichen Webseiten barrierefrei. Ich erhoffe mir aber, dass Privatunternehmen den Nutzen barrierefreier Webseiten schneller erkennen. Das eine oder andere wird wohl auch bei uns in der Beratungsstelle landen, womöglich hatten sie schon im bau­lichen Kontext Kontakt mit uns. Es kann auch ganz anders kommen. Wie lange hat es zum Beispiel gedauert, bis sich sämtliche Emissionsgesetze durch­gesetzt haben? Das ist eben ein Prozess.

Was würden Sie den Menschen in Sachen Barrierefreiheit noch mit auf den Weg geben wollen?

Die Leute sollen keine Angst haben und sich informieren. Es gibt für ganz viele Dinge Lösungen, auf die der Normalbürger erst einmal nicht kommt – woher soll er es auch wissen? Aber lieber einmal nachfragen, statt im Nachgang Beschwerden zu kassieren. Ein Klassiker sind zum Beispiel Klingelanlagen an Gebäuden, die irgendwo an der Seite angebracht sind, oder kombiniert mit Briefkästen. Da bin ich als Blinde dann raus. Klar, ich kann mit Handy und KI arbeiten und mir sagen lassen, wo welches Schild ist. Aber gut handhabbar ist das nicht gerade. Ebenso wenig die Selbstbedienungsterminals in Supermärkten und immer mehr Haushaltsgeräte. Es gibt inzwischen fast nur noch Wasch­maschinen mit Touchscreens – ein einfacher Schalter, wo man spürt, wenn er einrastet, wäre hilfreich für alle.

Bild: Kunut - stock.adobe.com

Die Leute sollen keine Angst haben und sich informieren. Es gibt für ganz viele Dinge Lösungen, auf die der Normalbürger erst einmal nicht kommt – woher soll er es auch wissen? Aber lieber einmal nachfragen, statt im Nachgang Beschwerden zu kassieren.“

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.barrierefrei.bayern.de/gemeinsam-gestalten/beratungsstelle-barrierefreiheit/

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