Vorab ein paar Worte zu mir: Nach meinem Realschulabschluss habe ich die Fachhochschulreife mit Ausrichtung Wirtschaft absolviert, ein Studium als Fachübersetzer abgebrochen und stattdessen eine Ausbildung zum Buchhändler abgeschlossen. Im Buchhandel habe ich noch eine Weile gearbeitet, bis ich für einige Zeit in der Telekommunikation (manche sagen auch: Call Center) gearbeitet habe und schließlich den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. Seit nunmehr zehn Jahren arbeite ich als freier Videojournalist, Sprecher und Autor. Klingt abwechslungsreich, ist es auch. Nichtsdestotrotz ist es an der Zeit, meinen Job auf den Prüfstand zu stellen. Denn im Zweifel gilt: Für Veränderungen ist es nie zu spät!
Check U: Es wird komplex
Der erste Test – Check U – führt mich zur Bundesagentur für Arbeit. Ich muss mich registrieren und anmelden – was tut man nicht alles für eine verheißungsvolle Zukunft! Mein Geburtsjahr datiere ich wahrheitsgemäß auf 2010 (*hüstel*), und mein angestrebter Schulabschluss ist nun die Mittlere Reife. So weit, so gut. Jetzt warten vier Bereiche auf mich, praktischerweise mit der Zeitangabe, die ich für die Bearbeitung in etwa benötigen werde: Fähigkeiten (55 min!) und Soziale Kompetenzen (20 min) werden empfohlen, Interessen (10 min) und Berufliche Vorlieben (10 min) hingegen sind optional. Fünfundfünfzig Minuten allein für das erste Modul! Worauf habe ich mich da bloß eingelassen ...
Los geht es mit 12 Fragen, die ich per Schieberegler auf einer Skala von 0 bis 100 beantworten soll. Interessant dabei: Die Positionierung des Schiebereglers in der Mitte der Skala ist nicht möglich. Ein großer Vorteil ist es, dass ich den Test zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen kann, ohne dass die eingegebenen Daten verloren gehen. Insgesamt lassen sich die Fragen leicht und zügig beantworten. Das Modul „Fähigkeiten“ entpuppt sich allerdings schnell als recht anspruchsvoll. Hier werden mein technisches Verständnis und mein räumliches Denken auf die Probe gestellt, und als wäre das noch nicht genug, darf ich auch noch mehrere Sach- und Rechenaufgaben lösen.
Bereits nach drei Wochen habe ich Check U erfolgreich beendet, und blicke voller Ehrfurcht auf meine TOP 3 Ausbildungen: Techn. Assistent – Bautechnik, Fachkraft Straßen- und Verkehrstechnik, Fachkraft Wasserwirtschaft. Bis dato hatte ich keine Ahnung, dass ich auch nur ansatzweise ein technisches Verständnis habe. Soll ich mich etwa so sehr in mir selbst getäuscht haben? Was für eine Erkenntnis! An sechster Stelle kommt immerhin ein Vorschlag, der mir naheliegend erscheint: Mediengestalter Digital und Print Projektmanagement.
Azubiyo: Im Handumdrehen eine Million Jobs
Nachdem ich mich von der Wasserwirtschaft erholt habe, lege ich mit Azubiyo nach. Auch hier muss ich mich registrieren und anmelden, am besten, ich gewöhne mich einfach daran. Die App sagt, ich muss mindestens 16 Jahre alt sein, also tue ich ihr den Gefallen. Und jetzt bin ich wirklich baff: Nach dem Check U-Test hatte ich mich zähneknirschend auf ähnlich lange Bearbeitungszeiten eingestellt, aber hier, bei Azubiyo, heißt es wörtlich: „Finde deinen Traumberuf in 3 Schritten! (Wünsche 3 min, Schule 1 min, Stärken 8 min).“ Ich schaue auf die Uhr und stoppe die Zeit. Here we go! Der Anfang gestaltet sich sehr zäh, denn die Aussagen, von denen ich pro Zeile jeweils eine auswählen soll, wiederholen sich permanent, nur in unterschiedlichen Konstellationen. Dann kommt das Thema Schule ins Spiel: Was sind meine Lieblingsfächer, wann strebe ich welchen Schulabschluss mit welcher Abgangsnote an, und, und, und… Nach knapp 20 Minuten habe ich mein Ergebnis, das mich mit insgesamt 162.017 Ausbildungs- und Studienangeboten regelrecht erschlägt. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf Platz 1: Zu 89 Prozent eigne ich mich für eine Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen. Sorry, liebes Azubiyo, aber da werde ich wohl an einem verregneten Sonntagnachmittag sicherheitshalber noch die restlichen 162.016 Stellen durchgehen.
Berufscheck: Es geht noch kürzer
Test Nummer drei ist der Berufscheck auf der Seite ausbildung.de. Hier erlebe ich direkt die erste Überraschung: Der Berufscheck funktioniert ganz ohne Registrierung und Anmeldung. Und: Er dauert gerade mal drei Minuten! In drei Minuten zum Traumjob? Wieso habe ich dafür 20 Jahre gebraucht??? Also gut, probieren wir es aus. Ich muss mich jeweils zwischen zwei Aussagen à la „Ich kann gut auf Menschen zugehen vs. ich bin eher zurückhaltend“ entscheiden. Dementsprechend „aussagekräftig“ ist am Ende auch das Ergebnis: Abiturientenprogramm Lagerlogistik „Plus“ (22 Lehrstellen), Duales Studium BWL – Spedition, Transport und Logistik (57 Stellen), viele weitere Vorschläge gehen ebenfalls in Richtung Logistik (vermutlich, weil ich vorher angegeben habe, dass ich ein gefährliches Experiment lieber erst einmal plane, als es direkt durchzuführen). Nun ja, vielleicht werde ich ja Fluglotse, denn da gibt es immerhin 30 offene Stellen. Aber genug Sarkasmus. Die Hoffnung auf Vorschläge wie Werbetexter, Drehbuchautor, Moderator oder Ähnliches habe ich noch nicht aufgegeben. Zwei Tests stehen noch aus. Alles ist möglich.
fujour: Besser geht’s nicht. Oder doch?
Mit diesem Optimismus widme ich mich fujour – einem Test, der sympathischerweise ohne Registrierung und Anmeldung auskommt. Es erwartet mich ein Fragebogen ohne Zeitangabe. Hier ist für jeden etwas dabei: Diverse Aussagen, die der Reihe nach priorisiert werden sollen, dann wieder Aussagen, bei denen man eine einfache Auswahl trifft, und schließlich der inzwischen altbekannte Regler, der in puncto Pünktlichkeit, Kontaktfreudigkeit, Höflichkeit und einigem mehr von „nicht zutreffend“ bis „sehr zutreffend“ verschoben wird. Am Ende begegnet mir zum allerersten Mal ein Textfeld mit viel Platz für Berufswünsche. Also lege ich munter los: Autor, Drehbuchautor, Moderator, Sprecher und so weiter und so fort. Jetzt macht der Test richtig Spaß. Na also! Und schon folgt die Analyse: Ich werde als „kreativer, gestalterischer, aber auch unternehmender, durchsetzungsstarker Berufstyp“ eingestuft, was ich nur bestätigen kann. Und so spiegelt sich diese Einschätzung in den Top-Ergebnissen wider: Journalist, Musiker (Hochschule), Gestaltungstechnischer Assistent*in – Grafik, Erzieher (Schulische Ausbildung) und Familienpfleger (schulische Ausbildung – Putzen, Kochen, Einkaufen oder bei der Pflege von Kindern). Den Familienpfleger hatte ich, offen gestanden, noch gar nicht auf dem Schirm, erscheint mir jedoch sehr sinnstiftend. Insgesamt hat fujour mich bis jetzt am meisten überzeugt.
berufswahlapp ist keine Wahl
Abschließen wollte ich diesen Artikel ursprünglich mit der berufswahlapp, doch hier heißt es in den FAQs: „Zugriff auf die berufswahlapp erhalten Sie momentan nur über eine Schule, da die berufswahlapp als unterrichtsunterstützendes Instrument eingesetzt wird. Darüber hinaus hängt die Teilnahme davon ab, ob Ihr Bundesland die Einführung der berufswahlapp unterstützt. Die Zugänge der Schulen werden zentral durch das Kultusministerium Ihres Bundeslandes gesteuert, da zuvor datenschutz- und nutzungsrechtliche Rahmenbedingungen geschlossen werden müssen. Aktuell wird die berufswahlapp in ausgewählten Schulen in Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eingesetzt.“
Schülerpilot – Der Überflieger unter den Tests!
So fällt meine Wahl am Ende auf den Schülerpilot – und das ist auch gut so! Denn dieser Test erfordert keine Anmeldung und wird mit einer Bearbeitungszeit von 5 - 10 Minuten angegeben. Auch hier ist es das beliebte Spiel mit dem Regler, das mich in nächster Zeit ganz sicher in den Schlaf begleiten wird. Auf den ersten Blick scheint der Test nur an der Oberfläche zu kratzen, doch die Ergebnisse, die ich in der Tat nach nur 10 Minuten vorliegen habe, könnten zutreffender nicht sein: #1 Schauspieler, #2 Redakteur, #3 Maskenbildner, #4 Journalist, #5 Friseur, #6 Fotograf, #7 Gestalter für visuelles Marketing, #8 Parfümeur, #9 Film- und Video-Editor, #10 Schriftsteller. Zugegeben, der Parfümeur genießt in diesem Ranking meine vollste Aufmerksamkeit. Aber mal im Ernst: Ich bin absolut fasziniert von der Passgenauigkeit trotz der Kürze dieses Tests. Somit muss ich mich an dieser Stelle korrigieren: Der Schülerpilot ist mein unangefochtener Favorit!
Und nun?
Diese fünf Tests sind natürlich nur ein kleiner Teil dessen, was es im Bereich der Berufsorientierung im weltweiten Netz gibt. Mein Tipp: Am besten, zwei, drei Tests durchführen und schauen, ob es bei den Ergebnissen am Ende Schnittmengen gibt. Und: Auch mal die Komfortzone verlassen und unbekanntes Terrain betreten. Ich zum Beispiel schwanke aktuell noch zwischen dem Parfümeur und dem Fluglotsen. Nun ja, da werde ich wohl noch etwas testen müssen.
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