1 2021 bekam Jan seine Diagnose. Es brauchte mehrere Arztbesuche, die mit jeweils monatelangen Wartezeiten einhergingen.
Auf den ersten Blick ist Jan Samuel Nichau ein unauffälliger junger Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht. Er hat eine Familie, die ihn bei allen Belangen unterstützt, zudem ist er äußerst erfolgreich im Beruf. Was seine Mitmenschen nicht sehen: Jan hat ADHS.
2021 bekam Jan seine Diagnose. Zu diesem Zeitpunkt war er frisch Single und ließ seine letzte Beziehung Revue passieren. Seine damalige Partnerin hatte verschiedene Eigenschaften an ihm kritisiert, unter anderem seine Vergesslichkeit, ebenso seine Impulsivität. Nach einem Gespräch mit einem Freund wollte Jan diesen Dingen auf den Grund gehen. Es brauchte mehrere Arztbesuche, die mit jeweils monatelangen Wartezeiten einhergingen. Dann endlich die Erkenntnis. „Durch die Diagnose ADHS hat sich mein Leben erst mal nicht verändert, man hat ja immer noch dieselben ‚Macken’“, berichtet der heute 25-Jährige. „Jedoch hatte ich für mich eine Erklärung für all die Symptome. Fortan habe ich mir keine Vorwürfe mehr dafür gemacht.“
Erfolg auf ganzer Linie
Die Diagnose hatte Jan sichtlich geholfen, sein Verhalten besser zu verstehen und damit umzugehen. Ein Prozess, der ihm während seiner Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration geholfen hat. „Mir fällt es extrem leicht, etwas zu lernen, das mich wirklich interessiert“, berichtet Jan. „Jedoch fällt es mir sehr schwer etwas zu lernen, was mich nicht so sehr interessiert.“ Folglich waren seine Noten in Schule und Ausbildung sehr gemischt. Dennoch gelang es Jan, große berufliche Erfolge zu erzielen. Im September 2023 vertrat er Deutschland bei den EuroSkills, der Europameisterschaft der Berufe, in der Disziplin „ICT-Specialist“, und durfte die Exzellenzmedaille für herausragende Leistungen entgegennehmen. Doch das war nicht alles. Jan lernte bei den EuroSkills seine jetzige Partnerin kennen, mit der er inzwischen Nachwuchs hat.
Ich habe früher immer gesagt, dass in meinem Kopf 24/7 ein Radio läuft. Wenn ich meine Medikamente genommen habe, dann war das Radio aus und meine Gedanken geordneter.“
Ohne Medikamente und ohne Therapieplatz
ADHS ist trotz dieser positiven Entwicklungen auch weiterhin Jans ständiger Begleiter. Nach der Diagnose hatte er knapp drei Jahre lang Medikamente eingenommen. „Ich habe früher immer gesagt, dass in meinem Kopf 24/7 ein Radio läuft“, erzählt er. „Wenn ich meine Medikamente genommen habe, dann war das Radio aus und meine Gedanken geordneter.“ Seit einem halben Jahr muss Jan ohne Medikamente auskommen, da er nach einem Wohnortwechsel noch keinen Platz bei einem neuen Psychiater gefunden hat. Die Suche nach einem Platz in einer Verhaltenstherapie hat er aufgegeben, da er inzwischen eigene Verhaltensweisen entwickelt hat, um mit der Situation umzugehen. So verwendet Jan zum Beispiel eine App, um all seine Einnahmen und Ausgaben zu erfassen. „Ich hatte keinen Überblick über meine Ausgaben, was in Kombination mit meinen Impulskäufen gar nicht gut war“, erklärt er. „Außerdem investiere ich einen Großteil meines Geldes zu Monatsbeginn, sodass es gar nicht für Impulskäufe zur Verfügung steht.“
ADHS ist ein Anderssein
Jans Impulskäufe waren in der Vergangenheit häufig das Resultat einer übergroßen Begeisterungsfähigkeit, die nach höchstens zwei Wochen wieder verflachte. Das ist heute nicht mehr so. Eine besondere Rolle bei dieser positiven Entwicklung spielt Jans Freundin. „Ohne sie hätte ich inzwischen wahrscheinlich ein Kanu oder eine Drohne, auch wenn ich für beides eigentlich gar keine Zeit habe. Außerdem merke ich besonders in Supermärkten, dass ich von dem großen Angebot an Produkten total reizüberflutet bin.“
Obwohl Jan – auch mit Hilfe seiner Partnerin – gelernt hat, mit ADHS umzugehen, gibt es noch einiges, das er sich wünscht, seitens der Gesellschaft und der Arbeitswelt. ADHS, so betont er, sei keine Behinderung, sondern ein Anderssein. Eine defizitorientierte Sichtweise greife hier zu kurz. „Ich finde es zum Beispiel wunderbar“, sagt er, „dass ich durch meine Impulsivität auch sehr spontan sein kann oder dass ich im Hyper-Fokus alles um mich herum ausblende und mich voll und ganz auf eine Sache konzentrieren kann.“
Ich finde es wunderbar, dass ich durch meine Impulsivität auch sehr spontan sein kann oder dass ich im Hyper-Fokus alles um mich herum ausblende und mich voll und ganz auf eine Sache konzentrieren kann.“
Angst vor Vorurteilen
In der eigenen Auseinandersetzung mit der Krankheit hat Jan schnell festgestellt, dass Bewegung enorm hilfreich ist. Große Projekte unterteilt er in kleine Meilensteine und läuft viel durch die Büros, um seine Gedanken zu sortieren. „Ich denke, dass Menschen mit ADHS für jedes Team eine Bereicherung sind, da wir Dinge anders angehen“, erklärt er. „So findet man eventuell eine Lösung für ein Problem, auf die man sonst nicht gekommen wäre.“ Dennoch thematisiert Jan seine Diagnose häufig nicht, aus Angst, in die Schublade des Zappelphilipps gesteckt zu werden. Etwa 4,7 % der erwachsenen Deutschen sind, laut Informationsportal zum Thema Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, von ADHS betroffen. Angesichts dieser Zahl ist Jans größter Wunsch nicht verwunderlich: „Am meisten wünsche ich mir, dass es nicht so schwer wäre, einen Psychiater zu finden, der einen aufnimmt. Ich denke, dass hierfür viel mehr Psychiater benötigt werden.“
Ich denke, dass Menschen mit ADHS für jedes Team eine Bereicherung sind, da wir Dinge anders angehen.“
Fazit: Außergewöhnlich
Jan ist ein Beispiel dafür, wie Menschen mit ADHS nicht nur erfolgreich sein können, sondern auch ihre individuellen Eigenschaften als Stärke begreifen. Seine Geschichte zeigt, dass eine ADHS-Diagnose kein Hindernis, sondern eine Chance zur Selbsterkenntnis sein kann. Mit Strategien wie guter Selbstorganisation, Unterstützung durch sein persönliches Umfeld und dem Verständnis für seine eigenen Bedürfnisse hat er nicht nur beruflich Außergewöhnliches erreicht, sondern auch gelernt, seine neurodivergenten Eigenschaften wertzuschätzen. Sein Wunsch nach mehr Verständnis und besserer psychiatrischer Versorgung unterstreicht dabei die gesellschaftliche Notwendigkeit, ADHS nicht als Defizit, sondern als eine besondere Form des Denkens und Handelns zu betrachten.
2 Die Diagnose hatte Jan sichtlich geholfen, sein Verhalten besser zu verstehen und damit umzugehen. Ein Prozess, der ihm während seiner Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration geholfen hat.